Rede von Dipl.‐Ing. Prof.Dr.Uwe Dreiss „Untertunnelung, Enteignung, sofortige Besitzeinweisung und Umweltverträglichkeit“ auf der 196. Montagsdemo am 4. Nov. 2013


Dipl.‐Ing. Prof.Dr.Uwe Dreiss, Ingenieure22, 4.11.2013

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Untertunnelung, Enteignung, sofortige Besitzeinweisung und Umweltverträglichkeit

 

Die Rechte der Bahn, die Tunnel bauen zu können, müssen in die Grundbücher eingetragen werden. Kann die Bahn sich mit den Eigentümern nicht einigen, kann sie eine „vorzeitige Besitzeinweisung“ erwirken. - Das EBA hält für das Grundwassermanagement keine Prüfung der Umweltverträglichkeit für erforderlich.


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für einen modernen und leistungsfähigen Kopfbahnhof,

 

Über’s Wochenende ist viel passiert. Da ist der vor einigen Stunden verkündete Erfolg des Kommunikationsbüros gegen die Stuttgarter Zeitung mit dem Ergebnis, dass die Stuttgarter Zeitung nicht mehr behaupten darf, der Aufsichtsrat der Bahn sei darüber informiert gewesen, dass S21 erst 2022 in Betrieb gehen werde1.

 

Es gab außerdem die in der Substanz gerade mal 1 1/2 –seitige Verfügung des Eisenbahn-Bundesamtes2 mit der Feststellung, dass für den 7. Änderungsantrag zur Planfeststellung für die Abschnitte 1.1, 1.5 und 1.6a (also Tiefbahnhof, Schlossgarten und Abstellbahnhof Untertürkheim) keine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen müsse.

 

Und dann beklagt sich Bahnchef Grube3 lauthals, er habe für die notwendige Erhaltung der Bahngleise und des Bahnbetriebs kein Geld. Aber Zeit hatte er, um in einem dekorierten Reisezug von Berlin nach Hamburg Kindern Märchen vorzulesen4. Jeder hat so seine Prioritäten.

 

Mit dem Beginn der Bauarbeiten wachsen auch die Sorgen der unmittelbar betroffenen Bürger, die die Untertunnelung der Häuser, in denen sie wohnen oder arbeiten oder deren Ertrag ihre Alterssicherung darstellt, nicht nur während des Baus, sondern auch danach über Jahrzehnte ertragen müssen. Die Tunnelröhren zum Flughafen bzw. nach Untertürkheim) werden unter dem Kernerviertel (Bereich Ameisenberg, Kernerstraße, Eugensplatz, Diemershalde, Gerokstraße) hindurch gegraben. Die Bahn braucht hierzu die Eintragung einer Nutzungserlaubnis in das Grundbuch. Dazu müssen 1. die Haftung der Bahn für Schäden an den Gebäuden, 2. die Einschränkungen der Nutzung der Grundstücke durch Mieter oder Eigentümer und 3. die Entschädigung geregelt werden. Die ersten Angebote der Bahn liegen vor. Sie sind aus unserer Sicht in der vorliegenden Form nicht akzeptabel.

 

Wenn Schäden auftreten: Wie kann jemand, in dessen Keller oder Dach plötzlich Risse in der Wand auftreten, beweisen, dass der Bau- oder der Betrieb der Tunnel dafür die Ursache ist oder war? Wir sehen in Staufen, Böblingen, Leonberg oder Rudersberg, wie prompt die Behörden, die Jahre lang zugeschaut haben, reagieren. Was wir hier im Vertrag dringend brauchen, ist eine Umkehr der Beweislast.

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1
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stz-intern-in-eigener-sache.32704f64-3151-4ddf-8abd-41ca329f442c.html

 

Wie weit ist die Nutzung eines Gebäudes durch die Bewohner eingeschränkt? Wir wünschen uns genau so, wie es der Bundesgerichtshof in einem Urteil5 gegen die Bahn beim S-Bahn Bau in den 70er Jahren ausgesprochen hat: Die Bahn verpflichtet sich, die U-Bahn-Röhren statisch so stark auszubilden, dass die volle oberirdische bauliche Nutzung im Rahmen der baurechtlichen Vorschriften stets gewährleistet ist.

 

Wir können auch nicht damit einverstanden sein, dass die Bahn ihre Rechte ohne Einschränkung an Dritte übertragen kann. Was machen, wir, wenn diese Rechte in nach zwanzig Jahren zur Begleichung der Schulden an einen Investor veräußert werden, der die Nutzungsgebühren einnimmt, die Anlagen nicht sachgemäß in Stand hält, sondern sie – mit verherenden Folgen für alle Beteiligten - vergammeln lässt?

 

 

Wenn sich Eigentümer und Bahn nicht schnell einigen können, dann hat die Bahn die Möglichkeit einer vorzeitigen Besitzeinweisung. Das bedeutet: Sie darf ohne Rücksicht auf den Schwebezustand der Verhandlungen anfangen zu bauen. Voraussetzung ist allein der betreffende Planfeststellungsbeschluss. Diese Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung laufen jetzt an. Das bedeutet: Die Bahn kann den Beginn der Bahnarbeiten erzwingen, auch wenn die Rechte zum Tunnelbau in die Grundbücher noch nicht eingetragen oder die Verhandlungen en mit den betroffenen Eigentümern noch nicht abgeschlossen sind.

 

In diesem Zusammenhang eine Bitte an Sie alle: Machen Sie unsere Arbeit bekannt. Noch viele der Betroffenen haben bis heute keine Ahnung, was auf sie zukommt.

 

In sachlicher Hinsicht steht zur Zeit für uns der 7. Änderungsantrag zu den Planfeststellungsbeschlüssen zum Tiefbahnhof, Schlossgarten und Abstellbahnhof Untertürkheim – Stichwort Grundwassermanagement – im Vordergrund. In diesem Zusammenhang sollten auch die Gefahren für die Gebäude des Kernerviertels vom Regierungspräsidium mit den Einwendern „erörtert“ werden. Diese Erörterung wurde beim ersten Anlauf wegen Befangenheit des Verhandlungsleiters abgebrochen; der zweite Versuch wurde nach 5 Tagen unterbrochen. Hier wollten wir unsere Bedenken rechtlicher und technischer Art vortragen. Wir hatten dazu jedoch nicht ausreichend Gelegenheit. Die Gefahren für die Stabilität des Hanges sind nicht nur eine Angelegenheit des Bereiches Tiefbahnhof, sondern auch und insbesondere die des Bereiches über dem Fildertunnel. Die Erörterung des Grundwassermanagements –statt 2,63 Mio. Kubikmeter werden 6,8 Mio. Kubikmeter abgepumpt – muss diesen Bereich einbeziehen. Hier müssen genaue Untersuchungen des Baugrunds erfolgen. Deshalb bestehen wir darauf, dass die Erörterung nicht beendet, sondern weiter geführt wird.

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5
Urt. v. 1.2.1983, III ZR 93/80 BGHZ 83, 61

Bei der Erörterung, soweit sie statt gefunden hat, wurde auch diskutiert, ob nicht eine Vorabprüfung der Umweltverträglichkeit hätte stattfinden sollen. Sie ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben; es steht sogar im Gesetz, dass sie zu dokumentieren ist6.Das war nicht erfolgt. – Nicht nur diese Vorprüfung, sondern auch gleich die endgültige Feststellung, dass dies überhaupt nicht erforderlich sei, wurde jetzt in der von mir am Anfang meiner Ausführungen erwähnten Verfügung nachgeliefert. Und dies in einer unglaublichen Begründung: “. . .es ergibt sich nach überschlägiger Prüfung, dass von der Veränderung der Höchstentnahmemengen keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Schutzgüter (des Gesetzes). . . ausgehen“. Das war’s. Für die, die bei der Erörterung in der Messe am Flughafen und schon beim ersten Anlauf im SI in Möhringen dabei waren, darf ich darin erinnern, dass die einzige Stütze des Sachvortrags der Bahn zu diesem Punkt die Präsentation eines (Zahlwort) als „Langzeitversuch“ beschriebenen auf 5 Tage geplanten, aber nach 3 Tagen aus ungeklärten Gründen abgebrochenen Versuchs war, der – wenigstens nach meiner Einschätzung – keine Grundlage für eine Verlässlichkeit der verwendeten Modellrechnungen lieferte. In der genannte Verfügung liest sich das so: „Da höhere Entnahmemengen zu einer entsprechend höheren Infiltrationsrate führen, verändert sich der Grundwasserspiegel somit nicht über das genehmigte Maß hinaus“. So einfach ist das. Davon, dass das durch eine Erweiterung des trichterförmigen Bereiches, der beim Abpumpen des Grundwassers vor dem Bahnhofstrog entsteht, auch der Fuß des Hanges erfasst werden und in’s Rutschen kommen kann, kein Wort . Und weiter: „Hiervon ausgehend belegen die vorgelegten Fachgutachten in schlüssiger Weise, dass von der Erhöhung der Grundwasserentnahmemengen . . . keine nachteiligen Auswirkungen insbesondere auf das Heil- und Mineralwassersystem, . . .(und) Hangstabilität ausgehen“. . Damit wird, so ganz nebenbei, im Wesentlichen schon vorab die gesamte 7.Planänderung durch das Eisenbahn-Bundesamt abgesegnet. Man kann nur hoffen, dass das Regierungspräsidium, das jetzt entscheiden muss und das - das sollte man auch wissen - in fachlicher Hinsicht dem Ministerium für Infrastruktur nachgeordnet ist, das Problem ernster nimmt und gründlicher behandelt.

 

Und dann noch die Nachricht der Wochenzeitung KONTEXT, dass beim Rechtsstreit der Stuttgarter Zeitung mit dem Kommunikationsbüro die Stuttgarter Zeitung unterlegen ist. Dem Vernehmen nach ist die Unterlassung allerdings sehr eng zu verstehen. Man darf immer noch behaupten,
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6 § 3c Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz

der Quartalsbericht mit der Aussage „ Fertigstellung 2022“ habe den Aufsichtsräten vorgelegen. Man darf nur nicht behaupten, die Aufsichtsräte seien dadurch informiert gewesen, d.h. im Klartext: die Unterlagen lagen ihnen vor, es sei damit aber nicht klar, das sie diese Unterlagen auch gelesen hätten. Für wie blöd hält man eigentlich diese Leute? Oder: Wie blöd sind sie wirklich? Wir werden sehen, was dabei raus kommt. Wir jedenfalls können den Journalisten, um deren Artikel es sich handelt, nur versichern, dass wir ihr Recht auf unzensierte Berichterstattung dringend brauchen und immer mit Nachdruck unterstützen werden. Damit wir und sie OBEN BLEIBEN.