Rede von Dieter Reicherter „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", 705. Montagsdemo, 29.04.2024

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Dieter Reicherter während seiner Rede auf der 705. Montagsdemo am 29.04.2024

Dieter Reicherter bei seiner Rede anlässlich der 705. Montagsdemo am 29.04.2024

Liebe Freundinnen und Freunde!

Inzwischen gibt es schon die Tradition, dass ich hier auf der Bühne stehe, wenn wieder ein Prozess zu Stuttgart 21 war, heute geht es sogar um zwei. und zwar 1. um die Herausgabe der Evakuierungssimulationen aus einem im Tunnel liegengebliebenen Zug und 2. um die Klage der DB AG gegen die Projektpartner zur anteiligen Beteiligung an den Mehrkosten von Stuttgart 21.

Ich beginne mit dem Prozess zu den Simulationen der Schweizer Firma Gruner AG zur Evakuierung aus den S21-Tunneln. Die Computerdurchläufe dauerten bis März 2014 und der Auswertungsbericht stammt von Ende Juni 2014. Das hinderte die PSU aber nicht, am 22. Januar 2014 im Arbeitskreis Brandschutz gegenüber Regierungspräsidium und Stuttgarter Feuerwehr zu behaupten, Simulationen hätten die Berechnungen der Bahn bestätigt, dass sie 1757 Personen in ca. 11 Minuten evakuieren könne. Und dazu tat man so, als beträfen die nicht vorhandenen Simulationen die Evakuierung im Brandfall.

Über diese Geschichte habe ich schon so oft gesprochen, dass Ihr die Einzelheiten kennt. Im Dezember 2019 hatte sich bekanntlich die PSU vor dem Verwaltungsgerichtshof verpflichtet, unseren Ingenieure22 Einsicht in die Simulationen zu gewähren. Das tat sie dann aber nicht und behauptete vier Jahre lang trotzdem, sie hätte den Vergleich erfüllt. Wir haben schließlich Zwangshaft gegen PSU-Chef Olaf Drescher beantragt. Und plötzlich fiel dem ein, dass die Simulationen gelöscht seien. Deshalb kam es zum Prozess, mit dem die PSU die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich verbieten wollte. Immerhin war das für uns der Weg zur Aufklärung und wir haben die Vernehmung zweier Zeugen der Gruner AG beantragt.

Damit konnten wir die Lügen der PSU aufdecken. Die Gruner AG hat nämlich bereits im zweiten Quartal 2016 im Einverständnis mit der PSU die Simulationen gelöscht. Diese betrafen nie ein Brandereignis und in der Mobilität Eingeschränkte kamen darin auch nicht vor. Die PSU hätte deshalb im September 2016 den Antrag auf Einsichtnahme mit der Begründung ablehnen müssen, dass die Simulationen nicht vorhanden seien. Somit hat sich die PSU mit ihrer Klage ins Knie geschossen und mit unseren Beweisanträgen haben wir aufgedeckt, dass sie nicht nur uns, sondern alle Richterinnen und Richter belogen hat. Diese haben sich fast acht Jahre lang mit nicht vorhandenen Computersimulationen geplagt. Die Glaubwürdigkeit der Bahn ist dahin. Es ist geklärt, dass sie keinerlei Nachweis dafür hat, wie sie in einem Notfall Menschen aus einem S21-Tunnel retten will. Das gilt sowohl für die Evakuierung bei einem Kaltereignis als auch bei einem Brand, wenn also Flammen und Rauch Panik auslösen und in den neuen Zügen nicht mehr wie früher angenommen 1757 Personen sind, sondern mehr als doppelt so viel.

Florian Bitzer von der PSU ist uns schon seit der sogenannten Schlichtung bekannt. Heiner Geißler hat ihn vor laufenden Kameras zusammengestaucht. Leider waren keine Kameras im Gerichtssaal, als Bitzer gegen mich ausfällig und unverschämt wurde. Er explodierte förmlich, als ich zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens den Vorschlag machte, die PSU solle auf ihre Kosten die Simulationen mit den damals angesetzten Parametern nochmals durchführen und uns zur Verfügung stellen. Und er fand meine Bemerkung gar nicht lustig, es sei nicht unser Problem, wenn er sich zu einem Vergleich verpflichtet habe, den er von Vornherein nicht erfüllen konnte. Aber nein, er habe nicht verstanden, dass er Simulationen zeigen müsse, wenn in dem Vergleich „Einsicht in Simulationen“ stehe. Und sein Topjurist Fachanwalt Dr. Krappel meinte, das sei ihm auch nicht klar gewesen. Übrigens hat Florian Bitzer seine Doktorarbeit über Simulationen geschrieben.

An dieser Stelle muss ich die neuesten Entwicklungen erwähnen. Denn der Prozess und die Berichterstattung sowie die Sendung von Mario Barth haben zu einem großen Medienecho geführt. Christoph Engelhardt hat zusammen mit dem Aktionsbündnis und den Ingenieuren22 eine Pressekonferenz mit dem Titel „Kein Zug wird fahren bei Stuttgart 21“ organisiert. In dieser hat er erläutert, dass bei Stuttgart 21 das Risiko für die Bahnreisenden etwa 16 mal so hoch ist wie bei Tunneln im In- und Ausland, die einen größeren Querschnitt, breitere Fluchtwege, geringere Steigung, weniger Zugverkehr und viel weniger Menschen in den Zügen haben. Ferner beweisen neue Forschungsergebnisse, dass der Tunnel bei Vollbrand schon in 7-8 Minuten verraucht ist, was für die Menschen den sicheren Tod bedeutet.

Inzwischen haben wir diese Ergebnisse an Olaf Drescher übermittelt mit der Aufforderung, dazu Stellung zu nehmen und die optimistischen Berechnungen der Bahn offenzulegen. Wir haben auch einen Faktencheck mit internationalen Sachverständigen vorgeschlagen. Vorsorglich haben wir angekündigt, dass wir ansonsten das Eisenbahn-Bundesamt auffordern werden, das Projekt sofort zu stoppen.


Und nun zur Finanzierungsklage der Bahn gegen ihre Projektpartner. Inzwischen geht es um nicht weniger als 7 Milliarden Mehrkosten.. Auf Seiten der Prozessparteien marschierten 26 Juristen und Vorstände auf, rechnerisch also eine bzw. einer pro 270 Millionen €. Ich werde ständig gefragt, wie viel die Rechtsanwälte verdienen und was der Prozess kostet. Das kann ich leider nicht beantworten. In derartigen Fällen werden Honorarverträge geschlossen, die weit über den gesetzlichen Gebühren liegen. Klar ist, dass schon die erste Instanz etliche Millionen kosten wird. Es wird auf alle Fälle weitergehen mit der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim und der Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Aber keine Angst: Die Prozesshansel haften nicht persönlich, denn wir Alle bezahlen dafür.

An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass Menschen aus unserer tollen Bewegung vor dem Gerichtseingang das Transparent mit dem gestürzten Stuttgarter Rössle gezeigt und Flyer zum Dolchstoß verteilt haben, die es sogar in die bundesweite Presse geschafft haben. Gleiches gilt für die Verhandlung zu den Simulationen mit dem Banner eines brennenden ICE. Dafür meine Anerkennung und meinen Dank!

Die Verhandlung war kurios. Allein die Aktualisierung der Prozessbeteiligten dauerte eine Viertelstunde. Beispielsweise standen als Vertreter der Deutschen Bahn AG noch die Vorstände Grube und Pofalla in der Überschrift und mussten aus dem Gedächtnis gestrichen werden. Ergänzt wurde die neu gegründete DB InfraGo, die ihren Geschäftssitz in der Frankfurter Adam-Riese-Straße hat und trotzdem nicht rechnen kann. Und bei der DB Energie GmbH sind alle damaligen Vorstände verschwunden. Mich würde mal die Summe ihrer Abfindungen interessieren.

Danach ging es zur Sache. Das Land und die anderen Projektpartner behaupteten, die Bahn habe sie vor Abschluss der Finanzierungsvereinbarung von 2009 über die Kosten getäuscht und diese um 2,2 Milliarden € zu niedrig angesetzt. Auch in den folgenden Jahren sei ihr klar gewesen, dass die Baukosten weit höher ausfallen würden. Und spätestens 2012 hätten die Bahnverantwortlichen gewusst, dass die Projektkosten die Finanzierungsgrenze von 4,526 Milliarden € übersteigen würden. Dazu wurden alle möglichen Beweisanträge gestellt, zum Beispiel Sachverständigengutachten und Protokolle des Bahnvorstandes und des Aufsichtsrats. Übrigens hätte ich als Beteiligter die Vernehmung der Bahnvorstände beantragt.

Und dann begann das große Jammern. Der Rechtsanwalt der Stadt Stuttgart verwies darauf, dass die Stadt aufgrund der Klage möglicherweise 1,3 Milliarden € draufzahlen müsse. Übrigens ist es wesentlich mehr und liegt eher bei 2 Milliarden zuzüglich den Kosten für die Freimachung des Gleisvorfeldes, Zinsverzicht und anderes. Für Investitionen bleibe dann nichts mehr übrig, zumal 2025 schon 770 Millionen € Kredit aufgenommen werden müssten. Und 15 Jahre nach dem Abschluss des Finanzierungsvertrages fiel der Stadt ein, dass der Finanzierungsvertrag kommunalrechtlich unzulässig und deshalb nichtig sei.

Selbstverständlich jammerte auch der Verband Region Stuttgart und betonte, er habe sich nur zu einem Festbetrag von 100 Millionen verpflichtet. Jetzt könnte aber das Fünffache der erbrachten Zahlungen auf alle Gemeinden des Regionalverbandes zukommen. Und schließlich rechnete der Flughafen vor, dass die geforderten 600 Millionen existenzbedrohend seien. Dabei fiel mir ein, dass die Schließung ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz wäre. Aber keine Angst, der Flughafen wird nicht pleitegehen. Die Landesregierung will weiter aus The Länd in die Welt fliegen.

Nach so viel Geheule verwies Rechtsanwalt Dr. Quack darauf, die Deutsche Bahn AG sei auch nicht auf Rosen gebettet. Er vergaß allerdings, dass die Vorstände mit ihren Gehältern, Bonuszahlungen und Abfindungen sehr wohl auf Rosen gebettet sind. Zur Widerklage der Projektpartner meinte er: „Ich kann nicht zu Gericht gehen, wenn ich einen unklaren Vertrag habe, und eine klare Regelung verlangen.“ Damit hat er völlig Recht. Er hat nur übersehen, dass das natürlich auch für die Klagen der Bahn gilt.

Vollends absurd wurde es, als Richter Kern danach fragte, was eigentlich der Lenkungskreis geprüft habe. Nach dem hilflosen Gestammel des Vertreters des Verkehrsministeriums, aus dem man entnehmen konnte, dass nichts geprüft wurde, meinte Richter Kern trocken, er habe die naive Vorstellung gehabt, dass der Lenkungskreis vor der Mittelfreigabe prüft, ob die Abrechnung in Ordnung geht. Und zum Finanzierungsvertrag bemerkte Kern treffend: „Sie sind sich nicht einig, was Sie geregelt haben.“

Am 7. Mai um 13:30 Uhr wird eine Entscheidung verkündet werden. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass schon nach siebeneinhalb Jahren ein Urteil ergeht. Die Entscheidung kann auch lauten, dass weitere Beweise erhoben werden, zum Beispiel, ob etwaige Ansprüche der Bahn verjährt sind. Weil ich nicht das Orakel von Delphi bin, will ich lieber nichts dazu sagen, wie die Entscheidung aussehen wird.

Übrigens wird sich so oder so spätestens nach einem Urteil erneut die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung der Beteiligten stellen. Denn ohne gesicherte Finanzierung 7 Milliarden € zu verpulvern, könnte ebenso eine Untreue im besonders schweren Fall darstellen wie eine haltlose Klage, die der Aufsichtsrat zur Bedingung gemacht hatte.

Jedenfalls bricht gerade so viel über die Verantwortlichen herein, dass sie vielleicht sogar mit dem Schlimmsten, nämlich dem Abbruch des Projekts, rechnen müssen. Übrigens habe ich bewusst das Thema Überschwemmungsgefahr ausgespart. Dazu gibt es auch neue und für die Stadt Stuttgart sehr bedrückende Erkenntnisse, die in nicht allzu ferner Zukunft auch auf das Tablett kommen müssen.


Deshalb möchte ich damit schließen, dass wir auch bei einer Überschwemmung des Stuttgarter Stadtzentrums

Oben bleiben!


Hinweis 

Fotos von dieser Montagsdemo befinden sich auf der Fotoalbenseite von Ulli Fetzer