Rede von Hans Heydemann „Brand im Terfener Tunnel und der untaugliche S21-Brandschutz", 663. Montagsdemo, 19.06.2023

„Brand im Terfener Tunnel und der untaugliche S21-Brandschutz"

Rede von Hans Heydemann auf der 663. Montagsdemo am 19.6.2023

Redemanuskript

Werte Mitstreiter für den Erhalt des Kopfbahnhofes,

Mehrmals habe ich auch nach Einsichtnahme in die Ausführungsplanung auf den mangelnden Brandschutz bei „Stuttgart21" und der Zulauftunnel hingewiesen.

Die DB AG weist jede Kritik am Brandschutz zurück und beteuert, die Sicherheit der Reisenden habe Vorrang vor allem anderen; alle Regeln und Vorschriften hierzu würden genauestens eingehalten. Im übrigen seien Zugbrände doch eine äußerst seltene Ausnahme; eigentlich können Züge ja gar nicht in Brand geraten.

Die immer wieder auftretende Zugbrände – im statistischen Mittel jede Woche einer und ganz überwiegend Folge einer technischen Störung - zeigen jedoch, wie meilenweit entfernt diese Aussagen der DB AG von der Wirklichkeit sind.

Tunnel sind und bleiben im Brandfall eine Todesfalle!

Dies zeigte sich erst kürzlich wieder beim folgenschweren Brand eines Reisezuges am 7. Juni 2023 im Terfener Tunnel in Tirol auf dem Weg nach Deutschland. „Feuer im Bahntunnel – 33 Zugpassagiere verletzt“ meldeten die Zeitungen. Im Nachtzug von Innsbruck nach Hamburg war ein Feuer ausgebrochen; ein Kleinbus auf dem mitgeführten Autoreisezug-Wagen war durch einen Stromüberschlag von der schadhaften Oberleitung in Brand geraten und brannte völlig aus; das Feuer griff auf weitere Fahrzeuge über. Der Zug blieb brennend im Terfener Tunnel liegen und konnte nicht ins Freie ausfahren, wie es die Tunnelrichtlinie vorgibt.

Die 151 Fahrgäste mußten sich auf Anweisung der Zugleitung in den letzten, am weitesten vom Brandherd entfernten Wagen begeben, und dort bei geschlossenen Fenstern und Türen sowie abgestellter Klimaanlage ausharren. So sollte verhindert werden, daß giftiger, tödlich wirkender Brandrauch in den Wagen eindringt und die Reisenden gefährdet. Dies ist allerdings nur für eine begrenzte kurze Zeitspanne möglich, denn im überfüllten Wagen wird die Atemluft schnell verbraucht, was die darin eingeschlossenen Personen dann ebenfalls in Lebensgefahr bringt.

Unverständlich ist hier die Vorgehensweise der Feuerwehr, die mit 700 Mann vor Ort im Einsatz war und zunächst den Brand bekämpfte, anstatt zuerst die Reisenden aus dem Zug zu retten und über die Notausgänge ins Freie zu führen. Erst nachdem der Brand gelöscht war, wurde die Tunnellüftung eingeschaltet und die Reisenden über die Notausgänge herausgeführt. Wegen der starken Rauchentwicklung erhielt jede Person eine Rauchhaube mit angebautem Schutzfilter, eine Art Gasmaske. Dennoch erlitten 33 Personen eine Rauchvergiftung und mußten zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden. Erst zwei Stunden nach der Brandmeldung war der Zug geräumt und alle Fahrgäste in Sicherheit.

Der Terfener Tunnel auf der Strecke Innsbruck – Rosenheim ist zweigleisig und mit 15,8 km Länge etwa ebenso lang wie der S21-Tunnellauf von der Einfahrt in den Feuerbacher Tunnel über den Tunnelbahnhof „Stuttgart21“ bis zur Ausfahrt aus dem Fildertunnel am Fasanenhof. Im Unterschied zu diesen hier gibt es dort also keine sogenannte „Sichere Röhre“, in die sich die Fahrgäste im Brandfall selber retten können sollen - was bei einem schweren Brandgeschehen wegen der viel zu großen Abstände der Rettungsstollen vielen ohnehin nicht gelingen wird. Stattdessen hat der Terfener Tunnel Notausgänge unmittelbar ins Freie.

Der Terfener Tunnel hat aber bedingt durch die Zweigleisigkeit einen sehr viel größeren Rauminhalt als die S21-Tunnel hier. Deshalb kann er viel mehr Rauch aufnehmen, der sich dadurch auch viel langsamer ausbreitet. Schließlich ist dort auch Platz für eine Brandbekämpfung, die bei den eingleisigen S21-Tunneln wegen deren Enge gar nicht möglich ist.

Auch wenn dieses Brandereignis im Terfener Tunnel „nur“ 33 Verletzte mit Rauchvergiftung zur Folge hatte, aber Gottseidank keine Toten zu beklagen sind, macht dies einmal mehr die Gefährlichkeit von Eisenbahntunneln im Brand- und Katastrophenfall deutlich. Tunnel sind und bleiben im Brandfall eine Todesfalle! Nun besteht das ganze Vorhaben „Stuttgart21“ aus einem Tunnelgeflecht mit 60 km Tunnel-Gesamtlänge, und es sind weitere Tunnel als „Ergänzungs-Projekte“, u.a. den „Pfaffensteigt-Tunnel“ mit 2 x 12 km Länge geplant. Rechnet man die tunnelreiche „Neubaustrecke“ vom Flughafen Stuttgart nach Ulm mit ein, sind es insgesamt 120 Tunnelkilometer, ein Fünftel aller bislang vorhandener Bahntunnel in Deutschland.

Der „Tunnelwahn“ der DB AG ist wegen der mit dem Tunnelbau verbundenen hohen CO2-Freisetzung ja nicht nur „klimaschädlich“, er erhöht unnötigerweise auch das Risiko für die Zugreisenden, bei einem Brandgeschehen im Tunnel ums Leben zu kommen. Je mehr Tunnel, umso größer die Wahrscheinlichkeit, daß ein in Brand geratener Zug darin liegen bleibt.

Es ist absehbar, daß es über kurz oder lang zu einem schweren Brandereignis in einem dieser S21-Tunnel kommen wird – mit hunderten Toten und Verletzten! Die Wahrscheinlichkeit eines Zugbrandes im Tunnel ist ebenso groß als die auf freier Strecke; doch die Auswirkungen sind um das Hundertfache verheerender.

Ein Brand auf freier Strecke verläuft in aller Regel glimpflich und ohne nennenswerte Personenschäden; Feuer und Rauch können ungehindert nach oben abziehen und gefährden die Zuginsassen nicht. Die Feuerwehr hat reichlich Platz für Löschangriffe.

Anders im Tunnel: hier kann der Brandrauch nicht nach außen entweichen, sondern bleibt im Tunnel gefangen und breitet sich darin sehr schnell aus. Dadurch sind in kürzester Zeit alle Personen bedroht, die sich nicht schnell genug über die mit 500 Meter Abstand viel zu weit voneinander entfernten Rettungsstollen ins Freie oder in die Gegenröhre als „Sicheren Bereich“ haben retten können.

Durch Einblasen von „Frischluft“ aus dem Schwallbauwerk in die Tunnel wie bei S21 geplant kann das nicht verhindert werden. Es dauert viel zu lange, bis die Zuluft den viele km entfernten Brandort überhaupt erst erreicht. Die Gebläse werden ja erst nach Eingang der Brandmeldung in der Leitstelle Karlsruhe zugeschaltet. Sodann müssen die Gebläse auf Nenndrehzahl hochlaufen, was allein schon 3 – 4 Minuten dauert. Schließlich muß die Luftmasse von über 500 t im Fildertunnel in Bewegung versetzt und eine Luftströmung aufgebaut werden, wobei erst noch die im Tunnel herrschende, von vorausgegangenen Zugdurchfahrten hervorgerufene Gegenströmung zu überwinden ist. Alles in allem ist mit einer Zeitverzögerung von bis zu 20 Minuten zu rechnen. Bis dahin werden alle, die nicht innerhalb der ersten fünf Minuten einen Rettungsstollen erreicht haben, im Brandrauch erstickt sein! Das werden die allermeisten sein.

Zudem verwirbelt das Einblasen von Zuluft in die vom Brandgeschehen betroffene Tunnelröhre die Rauchschicht und zieht diese dadurch in den Gehbereich hinunter. Außerdem facht dies das Feuer zusätzlich an wie ein Blasebalg ein Schmiedefeuer.

Die von der DB AG angegebene Zeitspanne von 15 Minuten für die Selbstrettung ist bereits viel zu lang; es muß mit einer bedrohlichen Verrauchung des Tunnels innerhalb von 10 Minuten gerechnet werden, wie unsere Simulationsrechnungen zeigen. Die DB AG hat jedoch auf die Simulation der Verrauchung ganz verzichtet. Damit fehlt der Nachweis einer sicheren Selbstrettung.

Tatsächlich dauern die Räumzeiten eines brennenden Zuges im Tunnel erheblich länger als die von der DB AG zugrunde gelegten 15 Minuten Allein schon um aus dem Zug herauszukommen und aus 90 cm Höhe ohne Trittstufen auf den Fluchtweg auf Gleishöhe herauszuklettern, vergehen 8 - 10 Minuten, bis alle den Wagen verlassen haben. Das Aussteigen auf der Strecke stellt selbst für gesunde und kräftige Menschen eine erhebliche Erschwernis dar. Für Ältere und erst recht für mobilitätseingeschränkte Personen ist das Verlassen des Zuges ohne fremde Hilfe überhaupt nicht möglich. Das aber wird von der DB AG in deren Entfluchtungs-Szenarien völlig ausgeblendet. Um sodann den nächstgelegenen Rettungsstollen zu erreichen, der im ungünstigsten Fall 480 m entfernt ist, weil der brennende Triebkopf des Zuges in der Nähe eines solchen Stollens liegt, dauert dies weitere 8 bis 15 Minuten je nach Gedränge auf dem viel zu schmalen Fluchtsteg neben dem Zug. Vor dem Zugang zum Rettungsstollen wird sich unvermeidlich ein Stau bilden, der je nach Anzahl der Flüchtenden bis zu 17 Minuten weiterer Zeitverzögerung führt. Insgesamt ergeben sich etwa 30 Minuten Zeitdauer für die Selbstrettung aus einem vollbesetzten ICE mit 960 Personen und von über 40 Minuten bei einem
Doppelstockzug mit 1.754 Personen.

Daraus folgt unwiderlegbar, daß ein schweres Brandereignis in einem S21-Tunnel zu einer schreckliche Katastrophe mit Hunderten Toten und Verletzten werden wird, weil die nach der „Tunnelrichtlinie“ des EBA vorgesehenen und hier ausgeführten Brandschutz-Maßnahmen völlig unzureichend sind.

Zur verbesserten Sicherheit der Reisenden im Brand- und Katastrophenfall hätten folgende Vorkehrungen vorgesehen werden müssen:

  1. Verringerte Abstände von 125 m zwischen den einzelnen Rettungsstollen; damit wären die Rettungswege auf jeweils 62,5 m verkürzt und innerhalb 2 Minuten ein Rettungsstollen erreichbar. Weil zudem die Anzahl der Rettungsstollen viermal größer ist, wird es auch kaum eine Staubildung vor diesen geben.
  2. Anheben der Fluchtwege durchgehend auf Ausstiegshöhe; damit ist ebenes Aussteigen wie an einem Bahnsteig möglich, das Verlassen des Zuges wird für alle Reisenden erheblich vereinfacht und wesentlich auf etwa 2 Minuten verkürzt. Für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer wird das Verlassen des Zuges dadurch überhaupt erst möglich.
  3. Getrennter Rettungstunnel zwischen den beiden Fahrröhren wie dies im EURO-Tunnel ausgeführt und für die 2. Stammstrecke in München vom EBA verfügt. Damit würde die schnelle Flucht aus der Brandröhre möglich, weil kein „Leerfahren“ der Gegenröhre mehr abgewartet werden muß.

Das Nachrüsten eines solchen „Rettungstunnels“ ist beim Vorhaben „Stuttgart21“ nicht mehr möglich, wohl aber das Verringern der Abstände zwischen den einzelnen Rettungsstollen durch nachträgliches Einfügen von jeweils drei Querschlägen, ebenso das Anheben des Fluchtweges auf Bahnsteighöhe durch Einsetzen von Beton-Fertigteilen. Die DB PSU sperrt sich wegen der zusätzlichen Kosten dagegen. Das Anheben der Fluchtwege wird überdies abgelehnt, weil bei Rettungseinsätzen dann kein Gegenverkehr mit Straßenfahrzeugen mehr möglich ist. Doch dafür sollte der Einbahn-Verkehr ausreichen; Gegenverkehr ist im Tunnel nicht notwendig. Die erheblich verbesserte Fluchtmöglichkeit der Reisenden muß Vorrang haben.

Wer aber glaubt, vor Inbetriebnahme von S21 werde der Brandschutz gewissenhaft überprüft, dürfte sich getäuscht sehen. Wegen der unzähligen Mängel und Unzulänglichkeiten des Brandschutzes muß die Betriebsgenehmigung von Stuttgart21 versagt werden. Doch die Entscheidungsträger in der Politik wie auch der DB PSU werden alles versuchen, die Genehmigung mit geschönten „Gutachten“ dennoch „durchzudrücken“; die Öffentlichkeit kriegt nur schöne Bilder vorgesetzt, und die hiesige Presse wird dann die „gelungene Betriebs-Aufnahme“ von „Stuttgart21“ begeistert als „Jahrhundert-Ereignis“ bejubeln.


Das dürfen wir nicht durchgehen lassen! Seien wir also wachsam und bleiben oben.