Rede von Hans Heydemann auf 274. Montagsdemo am 8.6.2015 „Nesenbachdüker“
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Heute ist ein denkwürdiger Tag: Heute – so hatte die Bahn verkündet – werde mit dem Bau des Nesenbachdükers begonnen. Zu sehen ist aber noch nichts weiter als daß der Fußweg am Planetarium abgesperrt und aufgebrochen ist. Zufälligerweise ist das Planetarium jetzt geschlossen – wegen Renovierung!
Genau hier wenige Schritte neben dem Planetarium soll die Startbaugrube für den Düker ausgehoben werden, 20 m tief, bis in die Grundgipsschichten hinein, die tiefste Stelle des ganzen Vorhabens, bautechnisch außerordentlich schwierig. Die Bahn kann und will nicht garantieren, daß dabei kein Mineralwasser hochsteigt!
Der Nesenbachdüker ist die Unterführung des Nesenbachkanals, der Hauptabwasserader Stuttgarts unter dem S-21-Tiefbahnhoftrog hindurch. Der S21-Trog zerschneidet alle großen Abwassersammler der Innenstadt, die deshalb sehr aufwendig gedükert werden müssen als Voraussetzung dafür, daß der S21-Tiefbahnhof überhaupt gebaut werden kann. Mit dem Bau des Dükers Hauptsammler Cannstatter Straße hatte die Stadt Stuttgart bereits im November letzten Jahres begonnen. In der Baugrube 16 kann man den vorbereiteten Leitungsgraben sehen. Auch der Abwassersammler Lautenschlager Straße ist in der Baugrube des Technikgebäudes vor dem Nordausgang des HBF umgelegt und der Absturzschacht für den Düker gebaut. Nur an dem aus der Kriegsbergstraße kommenden großen Hauptsammler West, der mitten unter dem LBBW-Gebäude hindurchläuft, ist bis jetzt noch nichts gemacht. Hier muß ebenfalls über 20 m tief und unterhalb der Gebäudefundamente gearbeitet werden. Das wird bautechnisch ebenso schwierig. Wir dürfen gespannt sein, welche Schäden es am LBBW-Gebäude geben wird
Eigentlich hätte der Nesenbachdüker schon vor zwei Jahren fertig sein sollen, Mit den veranschlagten 3 ½ Jahren Bauzeit für den Düker ergibt sich ein Zeitverzug von über 5 Jahren für das S-21-Vorhaben. Dennoch hält die Bahn an der Inbetriebnahme von S-21 im Dezember 2021 fest.
Der Nesenbachdüker sei das Filetstück des S-21-Vorhabens, hatte Gangolf Stocker damals gesagt, und das hätten die falsch geplant. Vorgesehen und vom EBA genehmigt war ursprünglich der Bau unter Tage im bergmännischen Vortrieb unter der Schillerstraße und dem Baugelände hindurch. Weil hier das anstehende Grundwasser wegen seiner Stützwirkung für das Mineralwasser nicht abgepumpt werden kann, war dies unter Druckluft mit 2 bar Überdruck geplant gewesen – eine erhebliche gesundheitliche Belastung für die Arbeiter unter Tage, die ähnlich wie Tieftaucher bei jedem Arbeitsgang eine längere Dekompression in einer Druckkammer über sich hätten ergehen lassen müssen.
Zudem wäre hierbei sehr tief in die Grundgipsschichten eingeschnitten worden, wodurch ein Mineralwasser-Durchbruch möglich wäre. Dieses Risiko wollte keines der angefragten Bauunternehmen eingehen; die Bahn erhielt kein vergabefähiges Angebot und mußte neu planen. Wie gesagt, es handelt sich um das bestgeplante Vorhaben aller Zeiten!
Jetzt ist der Bau eines verkürzten Dükers in einer offenen Baugrube vorgesehen und als 14. PÄ vom EBA im November 2014 mit Anordnung des Sofortvollzuges genehmigt worden. Nach 7 Monaten Wartezeit will die Bahn nun mit dem Bau beginnen.
Das wird nicht so ohne weiteres gehen. Die Baugrube muß ringsum wasserdicht sein; der Aushub darf nur unter Wasser erfolgen, damit die Stützwirkung für das Mineralwasser erhalten bleibt. Dazu muß die Baugrube durch künstliche Wassernachspeisung geflutet und auf einem vorgegeben Wasserstand gehalten werden.
Anschließend muß eine 2,5 m dicke Betonsohle unter Wasser betoniert werden als notwendige Beschwerung der Grundgipsschichten, um ein Durchbrechen des Mineralwassers nach oben zu verhindern. Erst wenn der Beton ausgehärtet ist, kann die Baugrube leergepumpt werden für den Einbau des Dükers. Der Nesenbachkanal wird dazu in drei Einzelohre bzw. Kanäle aufgesplittet, in einen ständig betriebenen Trockenwetterkanal mit 1 m Durchmesser, einen Mittelwasserkanal mit 2,4 m Durchmesser zur Ableitung mittlerer Regen sowie einem Hochwasserkanal mit 7 x 3,5 m Querschnitt. Das Pumpenhaus an der tiefsten Stelle dient zum Leerpumpen von Mittelwasser- und Hochwasserkanal nach jedem Regen.
Der Bau ist schwierig. So müssen für die Baugrubenwände drei dichte Bohrpfahlreihen nebeneinander im Abstand von je 10 m niedergebracht werden; die Pfähle sollen bis zu 3,5 m tief in die das Mineralwasser schützende Grundgipsschichten hineinreichen. Damit entstehen 3 tiefe Einkerbungen je 200 m lang nebeneinander in der schützenden Deckschicht. Diese könnte hier unter dem Druck des Mineralwassers aufbrechen und das Mineralwasser dann aufsteigen lassen. Der frühere OB Schuster hatte mal den Schutz des Mineralwassers zum K.O.-Kriterium für S-21 erklärt – heute unter OB Kuhn gilt das offenbar nicht mehr.
Die Baugrube bleibt natürlich auch nach dem Zufüllen mit Erde wasserdicht erhalten und wirkt dann wie ein riesiger Blumentrog; das Regenwasser kann daraus nicht ablaufen, es kommt zur Verschlammung, Bäume und Sträucher können darauf nicht wachsen und werden eingehen. Zurück bleiben wird ein totes Stück Erde – bestgeplant von der Bahn und vom EBA genehmigt!
Mit dem Einbau der S-21-Düker wird sich eine Verschlechterung der Abwasser-Ableitung aus der Innenstadt einstellen. Die Umlenkungen und Querschnittsänderungen der Düker erhöhen den Durchluß-Widerstand gegenüber den heute gerade durchlaufenden Kanälen beträchtlich. Als Folge wird bei einem schweren Starkregen-Ereignis wie zuletzt am 15.8.1972 die Überflutungsgefahr in der Innenstadt deutlich erhöht. Stuttgart ist von seiner Kessellage geprägt; in Minutenschnelle stürzt das Regenwasser die Hänge herab, staut sich im Nesenbachkanal und den anderen Abwassersammlern vor den S-21-Dükern an und tritt schließlich aus den Straßengullys aus.
Mit genauen hydraulischen Berechnungen haben wir eine Verminderung der Abflußleistung der vier großen Innenstadt-Abwassersammler von zusammen 19 % nachgewiesen. Das Tiefbauamt wischt das vom Tisch mit dem Hinweis, das Institut für Siedlungswasserbau der Uni Karlsruhe habe 2001 mit einem Modellversuch die ausreichende Leistungsfähigkeit des Nesenbachdükers nachgewiesen. Den im Institutsbericht genannten Anstau im Kanalnetz von bis zu 1 m übergeht das Tiefbauamt. Auf die Reserve der bislang gerade durchlaufenden Kanäle gegenüber den S21-Dükern geht das Tiefbauamt gar nicht ein.
Die Düker müssen im Gegensatz zu den durchlaufenden Abwasserkanälen regelmäßig gereinigt werden und verursachen im Betrieb laufend erhebliche Wartungs- und Instandhaltungskosten von rd. 500.000 € jährlich als zusätzliche Ausgaben der Stadt. Das Tiefbauamt hat hierzu lediglich erwidert, die Reinigungs- und Wartungskosten seien denen anderer Sonderbauwerke vergleichbar – welch eine Verschleierung!
Die Stadt Stuttgart hat bislang keine derartigen Düker in dieser Größe; das wird für die alles neu und zusätzlich sein.
Aus abwassertechnischer Sicht hätte das Tiefbauamt diesen S-21-Dükern niemals zustimmen dürfen; damit wäre S-21 nicht machbar gewesen
Oben bleiben!