Rede von Wolfgang Kuebart und Roland Morlock „Fakten zum Fildertunnel “ auf der 6. Laufdemo in Degerloch, vom Fernsehturm zum Albplatz am 17. August 2013
Wolfgang Kuebart, Roland Morlock, Ingenieure22, 17.8.2013
Liebe Teilnehmer der Laufdemo in Degerloch,
wir sind hier an unserer letzten Station am Albplatz angelangt. Hier bekommen Sie zum Abschluß von mir noch ein paar Daten und Fakten zum Fildertunnel. Dieser Tunnel ist das zentrale Stück von Stuttgart 21, mit dem der unterirdische Bahnhof im Stuttgarter Kessel in Richtung Neubaustrecke Wendlingen-Ulm fortgesetzt werden soll. Der Tunnel ist als doppelröhriges Bauwerk geplant, jeweils eine Fahrtrichtung pro Röhre – so will es eine EU-Richtlinie zur Tunnelsicherheit. Jede dieser Röhren ist vom Stuttgarter Talkessel bis zum oberen Tunnelmund gut 9 Kilometer lang und überwindet einen Höhenunterschied von etwa 150 Metern. Warum muß ein solcher Tunnel unbedingt gebaut werden? Um schnell zum Flughafen zu kommen? Um die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm anzuschließen?
Tatsächlich, so wird mit Abstand am häufigsten argumentiert. Wir als Ingenieure22 sehen dies jedoch mit großer Skepsis. Die Anbindung der Neubaustrecke könnte nämlich auch ohne diesen Tunnel funktionieren, und es wurde bereits vor Jahren in der sogenannten Schlichtung gezeigt, daß die Fahrzeitverkürzungen durch die Neubaustrecke – so man diese unbedingt braucht – auch auf anderem Wege zu erreichen sind. Auch die Flughafenanbindung durch den ICE erscheint fragwürdig.
Zum einen sagte der Konzernbevollmächtigte Südwest der DB AG Herr Fricke einmal bei einer Informationsveranstaltung in Echterdingen, die Bahn habe kein besonderes wirtschaftliches Interesse an dieser Flughafenanbindung, es sei schon immer der Wunsch des Landes – also der Politik – gewesen, dort einen ICE-Halt zu bekommen. Und wenn Sie zu denjenigen gehören, die immer so gerne zum Flughafen wollen, für Degerloch wäre vermutlich eine bessere Anbindung in Richtung Süden gewinnbringender, die einen Umweg über den Hauptbahnhof entbehrlich macht, möglicherweise eine ganztägig durchgehende Busverbindung oder die Verlängerung der U6, die von der SSB ohnehin verfolgt wird. Sie erreichen damit den Flughafen zum Einzelfahrpreis von 2,60 EUR, über Hauptbahnhof wären es 3,60 EUR. Der Fahrpreis für den ICE (ohne Nahverkehr oder Verbund) wird sich schätzungsweise bei zwischen 12 und 15 EUR bewegen, alleine von Stuttgart nach Stuttgart-Flughafen, also zusätzlich zum Ticket für den Verbund.
Doch nun nochmal zurück zum Tunnel. Es heißt immer, Tunnels seien kein Problem, und die DB habe ja alles im Griff. Das ist ja in vielen Fällen auch so, hinterher hört man in der breiten Öffentlichkeit keine Hiobsbotschaften von ausufernden Schäden nach dem Bau von Schnellfahrstrecken. Das kann jedoch auch daran liegen, daß diese Neubaustrecken zumeist durch dünnbesiedeltes Gebiet führen und viele Tunnels auch nur die Landschaft unterfahren. Genau hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Projekt Fildertunnel – und auch zu den anderen Tunnelabschnitten, die in Stuttgart geplant sind. Der Fildertunnel soll nämlich weite Stadtgebiete unterfahren, so das Kernerviertel und die Gänsheide. Man bohrt sich unten in den Hang, zu dessen Stabilität und Sicherheit noch immer kein geotechnisches Gutachten vorgelegt wurde, und wühlt sich dann auf einer Strecke von gut vier Kilometern durch unausgelaugten Gipskeuper, dessen Quellgefahr man dadurch in den Griff bekommen will, daß man Wasserzutritte durch Abdichtungsbauwerke verhindert. Wieviele Jahre diese Abdichtungsbauwerke halten, ist bislang noch unbekannt.
Das Risiko, das quellfähiges Anhydrit in sich birgt, können Sie jederzeit in Staufen im Breisgau anschaulich betrachten. Hier führte eine mißglückte Geothermiebohrung von 15 Zentimeter Durchmesser zu Quellungen im Untergrund, die eine Bodenüberdeckung von 120 bis 140 Metern anzuheben imstande sind. In Stuttgart sollen die Bohrungsdurchmesser über acht Meter betragen. Im Kernerviertel und auf der Gänsheide gibt es mehrere hundert Grundstücke. Zahlreiche Eigentümer sind von diesem Risiko betroffen, befinden sich jedoch nicht innerhalb der Beweissicherung, da die DB davon ausgeht, daß eine Unterfahrung ab einer Tiefe von 35 Metern das Grundstück an der Oberfläche nicht mehr beeinträchtigen kann. Eigentümer von Grundstücken, die von Quellungen betroffen sind, aber aus Gründen der Überdeckung von mehr als 35 Metern nicht mehr in die Beweissicherung fallen, müssen ihre Ansprüche gegen die Bahn notfalls gerichtlich durchsetzen. Verlassen wir Kernerviertel und Gänsheide. Das nächste Bauwerk, das von der Unterfahrung betroffen ist, ist der Fernsehturm. Dies allerdings in einer Tiefe von über 200 Metern. Es erscheint also zunächst unwahrscheinlich, daß dieses Ensemble durch den Tunnelbau gefährdet ist. Erstaunlicher Zufall, daß die Tunneltrasse ausgerechnet unter dem Fersehturm durch muß. Es gäbe so viele andere Möglichkeiten, die Trasse vom Talkessel auf die Fildern zu führen. Aber wahrscheinlich erkennen wir lediglich den Sinn nicht. In 20, 30 oder 50 Jahren kommt man vielleicht auf die Idee, den Aufzug im Turm nach unten zu verlängern und einen Bahnhof im Fildertunnel zu bauen.
Stuttgart hatte den ersten Fernsehturm seiner Art in der Welt, Stuttgart könnte eigentlich auch den ersten Fernsehturm mit Anschluß an den Eisenbahn-Fernverkehr haben. Ihre Eintrittskarte bekommen Sie bereits am Schalter, am Automaten oder online zusammen mit Ihrer Fahrkarte, und dann können Sie quasi bereits am Ulmer Hauptbahnhof in den Stuttgarter Fernsehturm hineinsteigen. Nach der Unterquerung des Fernsehturms schließt sich der Stadtteil Waldau an, der Tunnel tangiert diesen im Bereich Falterau in einer Tiefe von über 100 Metern. Kein unausgelaugter Gipskeuper, kein Quellen im Untergrund. Nach derzeitigem Kenntnisstand (übrigens eine Formulierung, die in Verbindung mit dem Grundwassermanagement inzwischen zu überregionaler Berühmtheit gelangt ist) dürfte der Bezirk Waldau derjenige sein, der verglichen mit anderen am wenigsten gefährdet ist. Zum Süden hin verläuft die Trasse in einem weitläufigen Bogen in Richtung Industriegebiet Fasanenhof. Das SI-Zentrum und die Daimler- Hauptverwaltung werden zufälligerweise nicht unterfahren, hier verläuft die Trasse unter der Bundesstraße. Und im Industriegebiet Fasanenhof gibt es vor allem die EnBW, dort hält man sich im wesentlichen an den Verlauf der Erschließungsstraße, was eine ziemliche Nähe zur vergleichsweise neuen Tunneltrasse der SSB-Linie U6 bedeutet. Wenn aber für Degerloch vergleichsweise geringe Risiken durch den Fildertunnel bestehen, warum dann unbedingt eine Laufdemo hier?
Es gibt beim Fildertunnel auch noch den Zwischenangriff Sigmaringer Straße. Dieser bildet eine Zufahrtsmöglichkeit zur Tunnelebene und soll im Bereich der Ausfahrt Tränke ans Tageslicht treten. Von hier aus soll er die B27 unterfahren und dann südlich des Wohngebietes Waldau in den Fildertunnel münden. Betroffen hiervon sind in erster Linie Gewerbetreibende, die im südlichen Bereich Tränke ihren Firmensitz haben. Abgesehen davon, daß ihre Betriebsimmobilien bereits jetzt schon einer Veränderungssperre unterliegen, birgt das Areal ein bisher noch unbekanntes bzw. wenig beachtetes geologisches Risiko. Dieses Risiko trägt den Namen Lias Alpha. Es handelt sich um eine mineralische Schicht, die ebenfalls abhängig vom Wassergehalt aufquellen kann. Die Risiken hierdurch wurden von den Vorhabensträgern bisher nicht erkannt oder gesehen, so zumindest ein Ergebnis der Erörterung Fildertunnel, die am 31. Januar und 1. Februar 2012 im SSB-Waldheim stattgefunden hat. Der von der DB beauftragte Tunnelbau- Sachverständige war bezüglich Lias Alpha im Bereich Degerloch-Sonnenberg nicht ganz im Bilde und mußte von anwesenden Vertretern des Geologischen Landesamtes in seiner Auffassung korrigiert werden. Im ausführlichen Wortprotokoll ist dieser Vorfall genauestens dokumentiert. Allerdings fehlte diese Information dann im Anhörungsbericht des Regierungspräsidiums, der später an das Eisenbahnbundesamt ging und auf dem dessen Abwägung und Bewertung beruht.
Eine weitere Auswirkung dieses kleinen Schönheitsfehlers im Anhörungsbericht: Anlieger, die von Risiken durch Lias Alpha betroffen sind, haben erhebliche Schwierigkeiten bei der Klageerhebung. Denn wie soll man gegen etwas klagen, das streng juristisch gesehen gar nicht vorhanden ist?
Der Vorhabensträgerin kann so etwas nur gelegen kommen. Jedenfalls wurde die Planänderung zum Fildertunnel vor einigen Monaten vom Eisenbahnbundesamt – übrigens wie von der DB erwartet – genehmigt. Die Probleme, die im Verfahren nicht genehmigt wurden, waren gar nicht da.
Und das Planungskarussell geht voller Dynamik weiter. Inzwischen will man ja den Fildertunnel von den Fildern her beginnen und sich nach unten in die Stadt bohren, um nach einer Wende der Tunnelbohrmaschine wieder nach oben zu fahren.
Das hat den Vorteil, daß man die riskantesten Bereiche des Bauvorhabens erst dann erreicht, wenn schon genug Geld ausgegeben wurde und die Kosten für den Projektabbruch so in die Höhe getrieben wurden, daß man am Ende gezwungen ist, weitere Geldmittel zuzuschießen. Mittlerweile hat man außerdem gemerkt, daß man die Tübbinge – also die Innenschalteile der Tunnels – dann auch zunächst von oben anliefern muß. Ein eigens dafür zu errichtendes Betonwerk wollte die Stadt Stuttgart allerdings nicht so kurz unter der Hand genehmigen, was zu leichten Verstimmungen geführt haben könnte. Nach neuestem derzeitigem Kenntnisstand sollen die Tübbinge wohl aus Bayern angekarrt werden. Und bei einer Infoveranstaltung, die kurz nach der Erörterung zum Fildertunnel im Bücherwürfel zu Stuttgart stattgefunden hatte, hörte man Stimmen von den Projektträgern, der Zwischenangriff Sigmaringer Straße werde wegen des geänderten Tunnelbohrverfahrens gar nicht mehr benötigt. In den Planunterlagen hat er allerdings bis heute überlebt.
Man könnte in Verbindung mit dem Fildertunnel noch über zahlreiche kleine und große Widersprüche berichten. Wenn Sie den genauen Planverlauf dieses Bauwerkes noch nicht kennen, diesen jedoch genau kennenlernen möchten, so schauen Sie doch einmal auf die Seite biss24.de Diese Seite ist bis auf das rote Herzchen garantiert werbefrei.
Angeblich sollen ja die guten Argumente überwiegen. Ob diese Vermutung zutrifft, ist bis heute nicht erwiesen. Statt dessen kommen scheibchenweise immer neue Schwachpunkte an die Öffentlichkeit, und man hat ja in Verbindung mit dem roten Herzchen nicht gesagt, welches die guten Argumente sind.