Rede von Dr. Gert Meisel: „Fundstücke in den Brandschutzunterlagen“, 502. Montagsdemo am 24.02.2020

„Fundstücke" in den Brandschutzunterlagen

Dr. Gert Meisel für die 502. Montagsdemo am 24.2.2020

Redemanuskript

Dr. Gert Meisel während seiner Rede bei der 502. Montagsdemo

Liebe Mitstreiter, hallo Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart,
passend zum heutigen Rosenmontag möchte ich über eine absonderliche Real-Posse berichten, welche von der Projektgesellschaft Stuttgart–Ulm aufgeführt wird.

Es geht dabei allerdings um ein sehr ernstes Thema, nämlich um den Brandschutz für den Fall, dass ein Zug brennt und in einem der zahlreichen Tunnel von S21 zum Stehen kommt. Die Eisenbahn-Betriebsordnung erlaubt dies zwar nicht, sie gebietet vielmehr, dass ein brennender Zug unter allen Umständen aus dem Tunnel heraus gefahren werden muss. Um das zu gewährleisten, wird in Tunneln sogar die Notbremsung abgestellt. Soweit die Theorie – was für die Bahn bekanntlich nichts bedeutet, denn alljährlich kommt dieser angeblich „unmögliche“ Fall etliche Male vor, so z.B. am 14. März 2019 auf der Neubaustrecke bei Coburg sowie am 15. Januar 2020 für einen Zug aus München in dem ganz neuen Tunnel bei Ejpovice.

Deshalb hatte vor 7 Jahren das Regierungspräsidium Stuttgart die Aufstellung eines Brandschutzkonzepts speziell für die Tunnel bei der Projektgesellschaft angemahnt. Sie hat darauf hin eine Ausarbeitung „Entfluchtungs-Simulation“ herstellen lassen. Natürlich wollten wir diese einsehen, um sie kritisch hinterfragen zu können. Obwohl die Bahn immer wieder vorzutäuschen versucht, dass sie transparent sein wolle, hat sie diese wichtigen Dokumente mit unwahren und fadenscheinigen Vorwänden versteckt gehalten. Erst mit einem sich über 3 Jahre hinschleppenden Prozess für die Ingenieure22 konnten Wolfgang Jakubeit und ich die PSU zwingen, sie nun heraus zu rücken.

Im Einzelnen verlief der Prozess wie gewohnt: In erster Instanz gerieten wir wie immer vor die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart, deren RichterInnen erfahrungsgemäß voreingenommen sind gegen S21-Skeptiker. Sie weisen systematisch immer alle unsere Klagen ab. Dazu erzählte die gegnerische Bahn immer allerlei Ammenmärchen und Lügengeschichten darüber, warum es unbedingt notwendig sein soll, die Ausarbeitung geheim zu halten. Die 14. Kammer übernimmt diese unbelegten Behauptungen unserer Prozessgegner routinemäßig als seien sie wahr, obwohl sie selbst die Dokumente überhaupt nicht gesehen hat. Schlimmer noch: Sie greift sich Zusätzliches Unbelegtes über die Dokumente aus der Luft und erklärt es ebenfalls für wahr.

Nicht zuletzt deshalb war unsere Berufung in zweiter Instanz beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim für uns erfolgreich. Auch hier versuchte die Bahn zwar wieder, dem Gericht mancherlei Ammenmärchen über den Inhalt der Umwelt-Informationen aufzutischen. Sie versagte dem Mannheimer Senat damit den eigentlich geschuldeten Respekt, wie dies auch sonst zunehmend zur üblen Gewohnheit wird. Nun ist die PSU jedenfalls verpflichtet, uns wie gewünscht Einsicht zu geben.

Bei der Durchsicht der Dokumente haben wir die Bahn wieder einmal beim Mogeln ertappt: Angeblich hatte sie zum Problem „Zug-Brand im Tunnel“ eine Lösung erarbeitet. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Attrappe ohne Wert. Es fällt sofort auf, dass es sich um eine halbe Sache handelt, denn es wird isoliert nur das Teil-Problem behandelt, wie lange es dauert, bis die Fahrgäste den Zug verlassen haben.

Die zweite entscheidende Komponente, der Brand und insbesondere sein Rauch, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Das ist wie Fasnacht ohne Narren. Dabei ist es einzig das Ergebnis des Wettlaufs zwischen den flüchtenden Passagieren und dem giftigen Rauch des Brandes, was hier zählt. Die Antwort auf diese wesentliche Frage bleibt offen. Wie ja allgemein bekannt ist, reichen wenige Atemzüge für eine tödliche Gift-Dosis aus. Wir wissen deshalb nun, warum die Bahn diese unvollständige Schein-Lösung geheim halten wollte: Ihr kommt es offensichtlich nur darauf an, einen wertlosen „Persil-Schein“ einzukaufen.

Alle für den Brandschutz verantwortlichen Institutionen wie das Regierungspräsidium Stuttgart, das Eisenbahnbundesamt, das Innenministerium, die Stadt Stuttgart und die beteiligten Feuerwehren haben der PSU diese „halbe Sache“ durchgehen lassen und damit ihre Pflichten fahrlässig verletzt. Insbesondere Innenminister Strobl fiel durch Gleichgültigkeit auf – er reagierte auf wiederholte Rückfragen von Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter überhaupt nicht, so als ginge ihn das Nichts an. Damit erweist sich, dass es der Bahn und auch den genannten Institutionen offensichtlich egal ist, wie es sich mit der Sicherheit der Fahrgäste verhält. Wir werten solches Verhalten als menschenverachtend. Eine ungünstige Kombination von Evakuierungsdauer und Rauchgasverteilung kann verheerende Folgen wie beispielsweise beim Brand in Kaprun mit 155 Toten haben. Hier sind maximal immerhin an die 1.757 Personen betroffen.

Aber selbst die „halbe Sache“ Evakuierung weist noch Defizite auf: So wird beispielsweise nicht der mögliche aber besonders ungünstige und damit wichtige Fall behandelt, dass der brennende Zug so zum Stehen kommt, dass der Weg zum nächst gelegenen rettenden Querschlag durch Flammen oder Rauch versperrt ist. Die Folge: Ein auf maximal 500 m verlängerter Fluchtweg zum nächsten erreichbaren Notausgang mit der entsprechenden Verlängerung der Evakuierungsdauer. Dem entsprechend steigt die Vergiftungs-Gefahr durch den sich ausbreitenden Rauch.

Auch sonst leidet die Simulation der Zug-Evakuierung an einigen Ungenauigkeiten und Fehlern. So wird beispielsweise die Tatsache, dass auf dem Fluchtweg beim Verlassen des Zuges eine 77 cm hohe Stufe zu bewältigen ist, nicht angemessen berücksichtigt, ganz zu schweigen von behinderten Personen. Etliche Engstellen mit Personen-Staus werden großzügig abgetan. Dies gilt sowohl für die Fluchtwege innerhalb der Wagen als auch für den Weg vom Wagen zum Tunnel-Übergang (der sogenannte „Querschlag“) in die Nachbar-Tunnel-Röhre. Insgesamt handelt es sich um ein oberflächliches und geschöntes Abarbeiten der nur teilweise erkannten Probleme.

Bezeichnend für die immer noch anhaltende Geheimniskrämerei der Bahn ist, dass selbst jetzt noch nach gerichtlicher Klärung einige Informationen in den von der PSU zunächst vorgelegten Dokumenten so klein und damit unleserlich gedruckt waren, dass sie mit der Rasterung des Drucks verschwimmen. Inzwischen hat die Bahn auf unseren Protest hin eingelenkt und stellt in Aussicht, die Informationen in lesbarer Form vorzulegen, so dass sich eine Zwangsvollstreckung zunächst erübrigen könnte.

Für uns besteht trotz des positiven Teil-Siegs unverändert die Notwendigkeit, den Kampf um den Informations-Zugang weiter zu führen. Dies auch deshalb, weil die Bahn entgegen ihren verlogenen Transparenz-Beteuerungen unverändert Umwelt-Informationen versteckt. Das betrifft – beispielsweise – die Kosten von S21 und die Antwort auf unsere Frage danach, was genau denn die PSU beim Brandschutz-Gutachter bestellt hat, so dass ein solch seltsames Brandschutzkonzept „ohne einen flammenden Brand“ heraus kam.

Es scheint so zu sein, dass die Gutachter dieses massive Defizit geahnt haben, denn das Wort „Rauch“ kommt auf den 18 Seiten der Ausarbeitung ganz am Ende (nur) gerade einmal vor, und das mit dem verunglückten und unsinnigen Satz: „Eine nähere Beurteilung dieser ermittelten Entfluchtungszeiten im Zusammenhang mit der im Tunnelsystem Stuttgart 21 vorgesehenen Entrauchung der Tunnelstrecken durch die Bauherrschaft erscheint im Gesamtkontext allenfalls sinnvoll.“, der gut in eine Büttenrede passen würde. 

In dieser käme auch vor, dass aus den für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, dass ab dem Sankt-Nimmerleins-Tag aus Anlass der Inbetriebnahme von S21 Fahrscheine wie auch Zigarettenschachteln mit einem Aufdruck „Bahnfahren kann tödlich sein“ verziert werden.

Es gibt noch viele weitere Umweltinformationen, die ans Licht geholt werden müssen, und zwar gerade deshalb, weil die Bahn sie gerne unterm Teppich hielte.

Jedenfalls könnte unserem Motto: „Oben bleiben“ angesichts des missratenen Brandschutzkonzepts als guter Rat für Passagiere hinzugefügt werden: „Rette sich, wer kann“.