Rede von Dr. Carola Eckstein „Eine Stuttgarter CO2-Bilanz inklusive Stuttgart 21" auf der 477. Montagsdemo am 19.8.2019
Eine Stuttgarter CO2-Bilanz inklusive Stuttgart 21
Rede von Dr. Carola Eckstein, Parkschützerin und Mitglied der Ingenieure22, 477. Montagsdemo, 19.8.2019
Selbst unser Oberbürgermeister Kuhn hat erkannt: Auch hier in Stuttgart sollten wir etwas fürs Klima tun. Und zumindest manche der von OB Kuhn vorgeschlagenen Maßnahmen beschäftigen sich auch mit der Reduktion von CO2-Emissionen. Ein Schritt in die richtige Richtung!
Man kann sich allerdings fragen, warum Herr Kuhn sich so sehr sträubt, den von anderen Städten festgestellten Klimanotstand auch nur im Gemeinderat diskutieren zu lassen. Immerhin hätte ein solcher Beschluss zur Folge, dass alle Aktivitäten der Stadt mit Blick auf ihre Klimabilanz bewertet würden – eigentlich eine hilfreiche Maßnahme, um sich bei der Rettung des Klimas auf Relevantes zu konzentrieren. Und damit wären wir einmal mehr beim Tabu-Thema S21, denn das Tunnelprojekt sorgt gleich in mehrfacher Hinsicht für massiv steigende CO2-Emissionen.
Da wäre zunächst einmal der viele Beton und Stahl, der für das Projekt vergraben werden soll. Weltweit gehen etwa 20% der Treibhausgasemissionen auf das Konto von Beton und Stahl – für S21 fallen etwa 1,7 Millionen Tonnen CO2 allein für das Baumaterial an. Das ist etwa so viel, wie ganz Stuttgart in einem Jahr verheizt – und das Heizen gilt nach offiziellen Angaben als größter CO2-Emittent in der städtischen Klimabilanz.
Nun ist eine ganze Menge Beton inzwischen schon verbaut, nach den Berechnungen des Gutachtens ‚Quantifizierung der Treibhausgasemissionen des Projekts Stuttgart 21‘ ließen sich mit einem schnellen Baustopp und dem Alternativkonzept Umstieg 21 aber noch satte 800.000 Tonnen CO2 allein für Baumaterial einsparen – knapp die Hälfte der gesamten S21-Bau-bedingten CO2-Emissionen. Dafür kann der renommierte Klimasünder Heizpilz 27.674 Jahre lang durchheizen.
Nun wird auch dem Gotthard-Basistunnel nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass durch seinen Bau so viel CO2 freigesetzt wurde, dass er seinen Betrieb mit einem erschreckend großen, schweren Rucksack aufnimmt. Aber immerhin hat dieser Tunnel die Chance, über die Jahre seines Betriebs etwas abzutragen von seiner Klimaschuld. Jeder schwere Güterzug, der durch den Tunnel fährt, spart etwa 600 Höhenmeter und damit sehr viel CO2.
In Stuttgart sieht es anders aus: Jeder Zug, der den Tunnelbahnhof S21 anfährt, würde erheblich mehr Energie brauchen als eine Fahrt in den bestehenden Kopfbahnhof – wegen der zusätzlichen Höhendifferenzen und wegen dem Windwiderstand in den engen Tunneln. Aus Klimasicht wäre Nicht-Inbetriebnehmen für S21 also immer noch das Beste, auch wenn schon wirklich alles, alles fertig gebaut wäre. Das Argument‚ es sei ja schon so viel gebaut, kann nicht gelten, genauso, wie es nicht sinnvoll ist, zu fliegen, nur weil der Flughafen ja schon gebaut ist.
Im Einzelnen:
Der Energieverbrauch eines Zuges setzt sich im Wesentlichen zusammen aus den Komponenten Rollwiderstand, Luftwiderstand, Energie für die Überwindung von Steigung und Gefälle sowie der Energie, die für Beschleunigung und Bremsen benötigt wird.
Der Rollwiderstand ändert sich durch S21 immerhin nicht. Dafür verdoppelt sich der Luftwiderstand bei der Fahrt in einer engen Tunnelröhre im Vergleich zur Fahrt auf freier Strecke, so wie es heute ist. Je schneller der Zug fährt, desto mehr fällt dieser Posten ins Gewicht, ab etwa 100 km/h dominiert der Luftwiderstand alle anderen Komponenten des Energieverbrauchs.
Damit wir bei all der Technik die eigentliche Fragestellung nicht aus den Augen verlieren: Doppelter Luftwiderstand bedeutet doppelter Energiebedarf und damit doppelter CO2-Ausstoß!
Der Luftwiderstand ist aber nicht der einzige Nachteil des tiefergelegten Bahnhofs: 17 Meter nach unten soll der Bahnhof – der bestehende Kopfbahnhof liegt im Vergleich zum Umfeld etwas erhöht. Dadurch kann der Abstellbahnhof ebenerdig erreicht werden, die Höhenunterschiede sind in alle Richtung minimal. Das ist kein Zufall!
Im Tunnelbahnhof müssten die Züge in alle Richtungen gegen die Steigung anfahren. Alleine diese 17 m Höhendifferenz, die jeder in Stuttgart haltenden Zug zusätzlich überwinden müsste, würden täglich 11.750 kWh Strom kosten (bei 590 Zügen, wie sie heute fahren). Das entspricht dem Tagesbedarf von 1.175 Haushalten oder 195 Heizpilzen, die Sommers wie Winters täglich 5 Stunden heizen.
Nimmt man die Neubaustrecke mit in die Betrachtung auf, so führt der um 155m höhere Scheitelpunkt der Strecke in Kombination mit den vielen engen Tunneln und der Tieferlegung in Stuttgart dazu, dass sich der Energiebedarf, also die CO2-Emissionen für eine Zugfahrt von Stuttgart nach Ulm und zurück verdoppelt! So eine Verkehrswende können wir nicht brauchen!
Die Klimasünden des Tunnelprojekts S21 können noch viele Demoreden füllen: Von den unnötigen Fahrten in den weit abgelegenen Abstellbahnhof; dem vielen Wasser, das gepumpt werden muss; den Aufzügen und Rolltreppen, die allein über 200 Tonnen CO2 im Jahr (= weitere 117 Heizpilze) verantworten würden; der Bremsenergie, die zum größten Teil nicht etwa rekuperiert werden kann, sondern per Wirbelstrombremse für noch mehr Stromverbrauch = CO2-Emissionen sorgt; dem Kapazitätsmangel, überhaupt den baulichen Gegebenheiten, die mehr umwelt- und klimaverträglichen Verkehr in Stuttgart dauerhaft verhindern; bis hin zur Verunmöglichung eines integralen Taktfahrplans, was nicht nur für Reisende lästig ist, sondern auch energetisch sinnvolle Trassen für den Güterverkehr zerstört.
Einen weiteren Punkt von der langen Liste möchte ich noch etwas beleuchten: Vor ein paar Wochen veröffentlichten Forscher der ETH Zürich eine Studie, die, neben einer raschen Abkehr vom fossilen Wirtschaften, Bäume empfiehlt. Bäume seien die eine Chance, die Folgen unseres jahrzehntelangen CO2-Ausstoßes abzufangen – und Stuttgart holzt weiter munter ab!
Nun muss man wissen, dass ein gefällter Baum auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen ist. Ein einziger, etwa 150 Jahre alter Baum setzt so viel CO2 um, wie 2.000 junge Bäume! Jeden Tag bindet so ein alter Baum 18 kg CO2; das ist etwa so viel, wie der von OB Kuhn propagierte Tausch von 50 alten Kühlschränken einsparen kann, nur völlig kostenlos. Auch der Platzbedarf eines alten Baumes in der Innenstadt ist überschaubar, 2.000 junge Bäume sind hier nicht unterzubringen.
Nun gilt einmal mehr: Es sind schon viel zu viele Bäume gefällt – aber aus Klimasicht ist keiner der verbliebenen Juchtenkäferbäume ersetzbar und auch im restlichen Schlossgarten ist kein Baum verzichtbar, der noch nicht der Grundwassermanagement-bedingten Trockenheit zum Opfer gefallen ist.
Also: Oben bleiben und CO2 sparen!