Rede von Steffen Siegel: „Schutzgemeinschaft Filder gegen Eisenbahnbundesamt - ein Bericht zur Verhandlung der Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg", 443. Montagsdemo am 26.11.2018
Redemanuskript. Es gilt das gesprochene Wort!
Je älter man wird, desto mehr liebt man Rückblicke. Wir, oder besser die Bürgerinitiative Schutzgemeinschaft Filder, wurden letztes Jahr 50, und seit nunmehr 24 Jahren – seit 1994, also fast unser halbes BI-Leben lang – beschäftigen wir uns auch mit Stuttgart 21. Immerhin hatten die Chaosplaner der Bahn im Jahr 2002, also vor 16 Jahren, erstmals vergeblich versucht, für diesen Filderabschnitt 1.3 ein Planfeststellungsverfahren beim EBA einzuleiten. Aber bis heute ist bei unserem Filderabschnitt fast alles ungeklärt.
Schließlich wurde dieser Abschnitt 1.3 im Jahr 2014 öffentlich erörtert. Wir hatten uns bis zur Erschöpfung eingebracht und erstaunlicherweise erreicht, dass der Abschnitt nicht planfestgestellt werden konnte. Dann kam der uns allen bekannte Trick: Man teilte 1.3 in zwei Abschnitte a und b. Teil a (das ist die Trasse entlang der Autobahn und der Tiefbahnhof unter der Messe) wurde ohne weitere öffentliche Anhörung Mitte 2016 planfestgestellt. Dagegen klagten wir, vor allem mit Hilfe eurer großherzigen Spenden. Danke!
Dann geschah wieder zwei Jahre nichts. Letzten Dienstag nun fuhren wir kurz nach 8 Uhr mit dem Zug von Stuttgart nach Mannheim zur mündlichen Verhandlung im Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH). Mannheim hat etwa halb so viel Einwohner wie Stuttgart und einen Durchgangsbahnhof mit 12 Gleisen. Eigentlich hätten denkende Menschen allein schon deshalb die Verhandlung sofort abblasen müssen.
Außer uns direkt Beteiligten – Rechtsanwalt Dr. Lieber, Frank Distel, Hans Heydemann, Klaus Wößner und mir – war der gleichzeitig mit uns klagende NABU mit RA Dr. Sommer und Hans-Peter Kleemann vertreten. EBA und Bahn kamen mit vielen Fachleuten, vornedran der wichtigtuerische RA Dr. Schütz. Vom Land, von der Stadt, der Region und vor allem vom hier hauptbetroffenen Flughafen war niemand da. Die Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden Richter des Zweiten Senats, Dr. Harms, war relativ korrekt, aber er gab einen Tagesfahrplan vor und bestimmte, wann was besprochen oder verschoben oder abgewürgt wurde.
Am Vormittag beschäftigten wir uns sehr ausführlich mit dem mehr formaljuristischen Problem, ob die im Zuge von S21 geplante Straßenverlegung, die Südumgehung Plieningen, nicht eigentlich eines eigenen Verfahrens bedurft hätte. Unsere Rechtsanwälte belegten überzeugend, dass für die Umweltverträglichkeitsprüfungen der beiden Maßnahmen – Bahnstrecke und Straßenverlegung – jeweils getrennte Verfahren hätten durchgeführt werden müssen. Unmengen Paragrafen schwirrten pausenlos durch den Raum. Das Gericht bezog wie häufig während der Verhandlung keine direkte Stellung, betonte aber, es werde die Argumente aufnehmen, müsse sich dazu bis zur Urteilsverkündung aber noch beraten.
Wichtig: Mehrfach wurde klar gemacht (in meinen Worten): Der Senat entscheide nicht darüber, ob es zu den Plänen bessere Alternativen gebe, seine Aufgabe sei nicht die Bewertung eines Vorschlags, seine Aufgabe sei nur zu prüfen, ob der vorliegende Planfeststellungsbeschluss politisch und juristisch korrekt zustande käme und dass er keine offenkundigen Fehler beinhalte. Er mag noch so blödsinnig sein. Dann wurde die Aufteilung des Abschnitts 1.3 in zwei Teile a und b aufgerufen. Die Bahn argumentierte, diese Aufteilung sei zur „Vermeidung von Bau- und Inbetriebnahmeverzögerungen des Projekts S21“ unumgänglich, d.h. ohne Aufspaltung würden sie, wenn überhaupt, noch viel später fertig und es gäbe ja „durch die Aufteilung keine Veränderung der Identität des Gesamtprojektes“. Da muss man schlucken. Der Flughafenanschluss wurde bei jeder Gelegenheit als ein unumstößlicher, ganz wichtiger Kernpunkt von S21 bezeichnet und jetzt soll der dafür entscheidende Teil b (Rohrer Kurve bis Flughafen) erst Jahre später verfolgt werden. Ich kann doch nicht die Verbindung Zürich-Singen-Flughafen einfach für Jahre kappen und behaupten, das habe nichts mit dem Gesamtprojekt zu tun!
Der Nachmittag begann dann mit dem Thema Brandschutz im Tiefbahnhof unter der Messe. Dazu hat Hans Heydemann eindrucksvoll referiert. Der Senat fragte häufig interessiert nach. Hans Heydemann wird übrigens darauf in einer der nächsten Demoreden noch genauer eingehen.
Hier nur ein Beispiel aus dem Verfahren: Bei der Evakuierung griff die Bahn auf eine Simulation zurück, die dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Zu Beginn der Simulation stehen alle Menschen bereits gleichmäßig verteilt auf dem Bahnsteig, niemand ist mehr im Zug, wo ja irgendwo der Brandherd ist und dann, wenn sie merken, es brennt, strömen sie zu den Ausgängen, wo es dann zu Staus kommt.
Die Bahnsimulation geht von bereits leeren Wagen aus, sie beachtet das panische Gedränge beim Verlassen des Zuges nicht, sie geht nicht auf Gebrechliche, auf Gepäck, auf Rollstuhlfahrer, auf Fahrräder usw. ein – trotzdem sei dies der „worst case“. Es war schon grotesk. Sie behaupteten, dass ihre Simulation zu wirklichkeitsnäheren Ergebnissen führen würde als die von Hans zugrunde gelegte, in Fachkreisen anerkannte Simulation.
Wenigstens musste Schütz zugestehen, dass er es bei Hans Heydemann mit einem fundierten Fachmann zu tun hat, und dass sein Versuch, ihn als nicht qualifiziert zu brandmarken, ins Leere ging. Bei offenkundigen Defiziten der Planung hieß es mehrfach: Das ist nicht ermessensfehlerhaft, das wird dann bei der Ausführungsplanung berücksichtigt. Z.B. bei der Rauchgasabführung traten Unstimmigkeiten auf. Ich frage: Und wenn es dann bei der Ausführung nicht mehr lösbar ist?
Und auch unseren Hinweis, durch einen Filderbahnhof an der durchlaufenden Strecke beim Boschparkhaus wäre das Brandschutzproblem weitgehend gelöst, verwarf Herr Schütz, da dabei ein großer Bodenverbrauch zu befürchten sei. Na na Herr Schütz, hier jetzt plötzlich auch ein Bodenschützer? Dr. Lieber bewies dann anhand von Belastungsgrafiken aus dem Bundesverkehrswegeplan und dem Generalverkehrsplan des Landes Baden-Württemberg, dass die Führung der Gäubahn über den Flughafen auf Grund fehlender spezieller Nachfrage niemals gerechtfertigt ist. Und unseren Vorwurf, dass die zu erwartenden Passagierzahlen bei der Gäubahn über den Flughafen nie erhoben worden seien und nur wenige direkt zum Flughafen wollten, tat Schütz damit ab, dass wenn man erst die Möglichkeit geschaffen habe, dann wohl auch viel mehr Leute zum Flughafen wollten. So lässt sich natürlich jeder Unsinn begründen.
Beim Thema Planrechtfertigung sprach Frank Distel die wesentlichen Punkte klar an, von der fehlenden Leistungsfähigkeit, über die Schrägneigung und den mangelhaften Brandschutz, über die Tunnelprobleme bis hin zur fehlenden Zukunftstauglichkeit usw. Gericht und Gegenseite gingen darauf kaum ein und versuchten dies als hier nicht zur Diskussion stehendes Thema abzutun. Das bahneigene KPMG/Basler Gutachten zum Anhydrit kannte das Gericht nicht (es war ja schließlich „streng vertraulich“). Die Bahn indes zitierte wieder ihren einzigen Tunnelexperten Wittke, um zu beweisen, dass man dennoch alles im Griff habe.
Schließlich wurde noch auf verschiedene Varianten eingegangen, diese allerdings – so die andere Seite – entsprächen alle nicht den ursprünglichen Zielen. Unsere Forderung, die Gäubahn auf der Panoramastrecke zu belassen und sie im Sinne der damaligen Geißlerschen Schlichtung leistungsfähig an den Tiefbahnhof anzuschließen, sei hier nicht Thema. Sowohl der im Filderdialog von Landesverkehrsminister Winfried Herrmann eingebrachte Kehrtunnel als auch die Distelvariante von 2013 seien angeblich inzwischen so nicht mehr umsetzbar usw. Herr Schütz meinte, der Kehrtunnel sei schon allein deswegen zu verwerfen, weil er zum Teil im Anhydrit verlaufe. Plötzlich scheint Herr Schütz doch vor Anhydrit ein wenig Angst zu haben. Dabei meinte die Bahn ja bisher, mit der Person Wittke jeden Wassereinbruch für alle Ewigkeit stopfen zu können.
Einen großen Raum nahmen die naturschutzrechtlichen Belange ein, eindrücklich vom NABU vorgebracht. Neben der Beeinträchtigung von Feldlerche, Rebhuhn, Mäusebussard und Waldohreule stritt man sich um die Wertigkeit der Böden. Dabei gibt es kaum einen besser dokumentierten Boden als den auf den Fildern. Um Bodenverbrauch zu minimieren solle die Neubaustrecke – und das war auch ganz in unserem Sinne – dichter an die Autobahn gerückt werden. Statt eines breiten Schutzwalls plädiert der NABU eher für eine kleinere Schutzmauer.
Zu eben diesem Problem reichte der NABU-Anwalt Dr. Sommer zum Schluss noch einen Beweisantrag ein, dem der Senat nach einem etwa 20-minütigem Rückzug zur Beratung jedoch nicht stattgab, mit der Begründung, dass die Trassierung unerheblich für die Entscheidung darüber sei, ob die Baugenehmigung durch das EBA rechtmäßig ergangen sei. Wir lernen: Landverbrauch spielt also keinerlei Rolle beim Bewerten einer Baugenehmigung.
Gegen 20 Uhr war dann Schluss. Nach all dem sehe ich mich außer Stande eine eindeutige Einschätzung der Erfolgsaussichten zu geben, auch wenn die Hoffnung noch glimmt. Nur so viel:
- Beim Brandschutz haben wir (oder besser Hans) wirklich gepunktet, ebenso bei den fehlenden Passagierzahlen der Gäubahn zum Flughafen und in einigen weiteren Bereichen.
- Der Senat versprach bei einigen Punkten noch interne Beratungen.
- Es wird wohl zu einigen Ausgleichsmaßnahmen kommen müssen.
- Vieles sei nicht ermessensfehlerhaft, das wird dann u.U. erst bei der Ausführungsplanung berücksichtigt.
Die Urteilsverkündung findet am 4. Dezember 2018 um 11 Uhr in Mannheim statt. Die Urteilsbegründung wird sicherlich erst einige Wochen später folgen.
Vieles ging mir nachträglich noch so durch den Kopf: Warum lassen die sich so viel Zeit mit dem Filderabschnitt? Ist er so schwierig, sind sie unfähig oder ist es Absicht? Angeblich ist der Abschnitt b längst fertig geplant. Wollen sie warten bis alles fertig geplant ist, dann wäre die Umsetzung einfacher (z.B. Querung), oder haben sie gar noch ganz andere Alternativen im Köcher? Dem Flughafen steht jedenfalls eine extrem schwierige Zeit mit jahrelangen massiven Beeinträchtigungen bevor.
Und noch ein ganz anderer Punkt: Nach diesem Verfahren scheint es mir als gäbe es zwei Arten von Menschen, die sich in verschiedenen Sphären bewegen:
- Die Bahnoberen und deren Mitarbeiter und Planer, die täglich wichtige Leute treffen wie Bürgermeister, MPs, Herrenknechts, Wittkes, Industriechefs, die kostenlos Musicalpremieren besuchen usw. Es sind meist studierte Leute, warum übernehmen sie keine Verantwortung dafür, dass ihr Projekt immer astronomischere Summen verschlingt und eine Stadt von Grund auf zerstört? Warum denken sie häufig so unlogisch, ja oft egoistisch? Ich weiß es nicht.
- Wir dagegen treffen täglich relativ normale Bürger, Ingenieure, Lehrer, Gewerkschafter, usw. wir versuchen selbstkritisch zu sein, wir versuchen enkelverträglich zu denken und wir sind schon fast unanständig friedfertig. Die Bahn hält uns für weltfremde Spinner. Wir halten die dagegen für gefährliche Spinner.
Beide Seiten behaupten, dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen, auch wenn die Mehdorns und Grubes und Dobrindts und viele andere vorrangig ihre eigene Macht und das Geld im Visier haben. Ich bin froh, dass es euch hier gibt, dass wir uns auch um Bäume und um Kinder und um Insekten und ums Klima und um den Boden kümmern.
Deren Welt ist die Unterwelt, die sie mit Tunneln durchdringen – wir, wir bleiben oben am Licht! Danke!