Rede von Hans Heydemann „S21-Brandschutz – Pokerspiel der Bahn und das Grundgesetz", 435. Montagsdemo am 01.10.2018
S21-Brandschutz – Pokerspiel der Bahn und das Grundgesetz
Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22 auf der 435. Montags-Demo am 01.10.2018
Liebe Mitstreiter
Der ungelöste Brandschutz von Stuttgart 21 lässt uns nicht los – das wird uns bis zum Ende hin begleiten, wenn und ob überhaupt der S21-Tiefbahnhof jemals eine Betriebserlaubnis erhalten wird, sei es nun 2025 oder doch noch später.
Inzwischen liegt die Erwiderung des Eisenbahn-Bundesamtes auf meine Klage gegen die 18. Planänderung „Verschieben der Fluchttreppen“ vor. Drei volle Monate hat das EBA dazu gebraucht! Offenbar tut man sich dort doch recht schwer mit meiner Klage. Deshalb haben die auch beantragt, meine Klage einfach abzuweisen mit der Begründung, ich sei nicht klagebefugt, denn ich sei in eigenen Rechten doch gar nicht betroffen. Hätte ich ein eigenes Grundstück im Baubereich, wäre das vielleicht anders.
Meine Klage stützt sich auf Artikel 2 (2) des Grundgesetzes „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“; ich mache geltend, als häufiger Bahnfahrer könnte ich von einem Brandereignis im Tiefbahnhof oder im Tunnel betroffen sein und wegen unzureichenden Brandschutzes dabei zu Schaden kommen. Eisenbahn-Bundesamt und Bahn weisen das als unzulässig zurück mit folgender Begründung:
„Der Kläger bringt vor, durch den Planänderungsbeschluss in seinen Rechten verletzt zu sein und verweist auf seine Eigenschaft als „häufiger Bahnbenutzer“. Als Schutznorm führt er sein Grundrecht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Grundgesetz an. Aus diesem Vorbringen kann eine Klagebefugnis indes nicht hergeleitet werden. … Fragen des Brandschutzes im unterirdischen Durchgangsbahnhof betreffen den Kläger als Teil der Allgemeinheit, stellen aber keinen eigenen, die Klagebefugnis begründenden Belang dar.“
Es ist nicht zu fassen: für S21 soll also sogar das Grundgesetz außer Kraft gesetzt werden – das Eisenbahn-Bundesamt gebärdet sich als „Verfassungsfeind“. Und das Gericht wird da vermutlich wohl auch mitspielen, denn mit der Klageabweisung aus förmlichen Belangen vermeiden die Richter, sich inhaltlich mit meiner Klage auseinander setzen zu müssen, was ihnen viel Arbeit erspart. Dagegen werden wir dann vor das Bundesverfassungsgericht gehen.
Der Anwalt der Bahn, Dr. Schütz spricht mir gar die beruflich-fachliche Qualifikation ab mit der Begründung, ich hätte ja noch nie einen Bahnhof geplant. Aber muss man erst einen Bahnhof geplant haben, um Brandschutz zu verstehen? Was der Anwalt der Bahn offensichtlich nicht weiß: Ich habe eine Reihe Brandschutz- und Entrauchungsanlagen geplant, für Krankenhäuser, Universitätsgebäude, Kraftwerke und Chemiewerke – das ist eine ganz andere Nummer als ein Bahnhof.
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Punkten meiner Klage vermeidet das Eisenbahn-Bundesamt mit der pauschalen Behauptung:
„Der Änderungsplanfeststellungsbeschluss ist rechtmäßig. Insbesondere genügt der festgestellte Plan den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit gem. § 4 Abs. 1 AEG in Verbindung mit den einschlägigen technischen Regelwerken. … Die „besonderen Anforderungen im Einzelfall“ bestimmt die zuständige Genehmigungsbehörde, hier somit das Eisenbahn-Bundesamt.“
Also Rechtsprechung nach Gutsherren-Art – EBA und DB haben doch alles bestens geregelt! Dabei ist noch gar nichts geregelt – entgegen aller Vorschrift, dass der Brandschutz vor Einleitung der Planfeststellung abschließend geklärt sein muss1). Das wäre 2001 gewesen.
Stattdessen versteigt sich Herr Bieger, Brandschutzbeauftragter der Deutschen Bahn AG, mit seinen öffentlichen vollmundigen Lobpreisungen des S21-Brandschutzes vor den Stuttgarter Gemeinderäten. In der Niederschrift zur Sitzung des S21-Ausschusses am 15. Nov. 2016 wird er wie folgt zitiert:
"Stuttgart bekommt den sichersten unterirdischen Bahnhof und Eisenbahntunnel nach dem neuesten Stand der Technik." Sein Fazit begründete Bieger damit, dass das Entrauchungssystem das sicherste sei, dass je in Deutschland in einen Bahnhof eingebaut wurde. Zudem sei das Entfluchtungssystem absolut behindertengerecht und habe eine Sicherheitsreserve von einhundert Prozent. Das innovative Löschwasserversorgungssystem sei das Beste, das je in einen deutschen Tunnel eingebaut worden sei.“
Woher nimmt Herr Bieger die Gewissheit, „dass das Entrauchungssystem das sicherste sei“, das Entfluchtungssystem absolut behindertengerecht sei und eine Sicherheitsreserve von einhundert Prozent“ aufweist?
Unsere Kritik dagegen wird in der Sitzungs-Niederschrift noch nicht einmal erwähnt. Der Nachweis der Tauglichkeit der Brandschutzmaßnahmen steht indes noch in weiter Ferne.
Bemerkenswert ist zudem die Wortwahl „wurde“ und „eingebaut worden“, was eine bereits vollendete Tatsache beschreibt – dies bereits 2016, also vor 2 Jahren, als in der Baugrube 16 gerade mal die Bodenplatte betoniert war. Herr Bieger tut so, als wäre alles schon fertig und habe sich bestens bewährt. Doch sind auch heute selbst die Rohbau-Arbeiten der S21-Tiefbahnsteighalle noch Jahre entfernt von der Fertigstellung.
Außer viel Papier und noch mehr vollmundiger Behauptungen, wie toll das alles mal werden soll, hat die Bahn zum Brandschutz noch gar nichts Handfestes vorzuweisen. Bislang gibt es für die Entrauchungsanlagen weder eine Entwurfsplanung noch eine Ausschreibung, somit auch keine Vergabe. Es ist auch noch kein ausführendes Unternehmen mit dem Bau der Entrauchungsanlagen beauftragt worden. Dieses erst soll die Ausführungsplanung der Entrauchungsanlagen erstellen. Doch es wird fleißig überall betoniert – ohne Rücksicht darauf, wie diese Entrauchungsanlagen später einmal im Schwallbauwerk Süd und in den beiden Entrauchungsbauwerken an der Heilbronner Straße und am Wartberg unterzubringen sind. Damit aber spielt die Bahn ein gewagtes Pokerspiel!
Unverständlich, warum dies nicht schon längst auf den Weg gebracht worden ist. Wurde das bei der Bahn verschlafen?
Als öffentlicher Auftraggeber muss die Bahn EU-weit öffentlich ausschreiben. Dazu muss die Maßnahme im Amtsblatt der EU öffentlich angekündigt werden. Innerhalb von 30 Tagen können sich daraufhin Unternehmen bei der Bahn bewerben. In einem Präqualifikations-Verfahren werden sodann geeignete Bieter aus dem Bewerberkreis ermittelt. Diese erhalten dann eine sogen. „Funktions-Ausschreibung“, die lediglich die Anforderungen vorgibt, ohne kalkulierfähiges Mengengerüst. Dieses müssen die Bieter - jeder für sich – erstmal in einer eigenen Vorplanung erarbeiten, um ihr Angebot überhaupt kalkulieren zu können. Die großen Axial-Gebläse als Sonderfertigung müssen dazu bei geeigneten Herstellern – von denen es weltweit nur sehr wenige gibt - angefragt werden, um die Hauptabmessungen sowie den Lieferpreis und die Lieferzeit zu erfahren als Grundlage für ihre Vorplanung und die Kalkulation. Dafür muss ihnen eine Bieterzeit von mindestens vier Monaten eingeräumt werden.
Die eingehenden Angebote müssen sodann geprüft und ausgewertet werden. Es folgen Vergabe-Verhandlungen mit den aussichtsreichsten Bietern und schließlich der Vergabe-Entscheid. Für den gesamten Zeitablauf bis zur Auftragsvergabe ist von mindestens 1 ½ Jahren zu rechnen – also wird frühestens Mitte 2020 der Auftragnehmer feststehen.
Dieser muss zunächst erst einmal die Ausführungsplanung erstellen und mit Auftraggeber sowie den Behörden abstimmen – ein weiteres halbes Jahr wird vergehen. Als Lieferzeit für die Groß-Gebläse in Sonderfertigung muss mindestens ein Jahr gerechnet werden; der Einbau mit allem Drum und Dran wird ein weiteres Jahr dauern. Die Betriebsaufnahme ist also nicht vor Ende 2023 zu erreichen – wenn alles glatt läuft.
Auch daran wird einmal mehr deutlich, dass die DB PSU überhaupt keinen Überblick über die Bau-Abläufe hatte, als sie noch vor einem Jahr öffentlich darauf beharrte, 2021 mit Stuttgart 21 in Betrieb gehen zu wollen. Ohne den bis dahin niemals fertigzustellenden Brandschutz wäre das nie gegangen! Da hat die Bahn die Öffentlichkeit doch glatt hinter das Licht geführt, ob nun vorsätzlich wider besseren Wissens oder schlicht aus Dummheit und Schlamperei.
Was aber, wenn kein vergabefähiges Angebot eingeht, weil sich kein seriöses Unternehmen bereit findet, das untaugliche Entrauchungskonzept der DB anzubieten und umzusetzen und dafür dann auch noch die Gewährleistung zu übernehmen? Es gibt ohnehin nur sehr wenige Unternehmen weltweit, die hierfür in Frage kommen. Die werden sich damit nicht in die Nesseln setzen wollen.
Dann hätte die Bahn mit ihrem S21-Brandschutz ausgepokert. Stuttgart 21 wäre dann ebenso gescheitert wie der Berliner Großflughafen BER.
Oben bleiben!
1) Tunnelrichtlinie Seite 9: „Die Ausgestaltung des Rettungskonzepts hat unmittelbaren Einfluss auf die bauliche Gestaltung des Tunnelbauwerks. Deshalb müssen die Einzelheiten vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens festgelegt sein.“