Rede von Dipl-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, „Justitia und die Tunnelsimulation", 402. Montagsdemo am 29.1.2018
Justitia und die Tunnelsimulation
Redemanuskript (Langtext)
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Beim Brandschutz von S21 trickst und mogelt die Bahn, was das Zeug hält!
Auf einer geheim gehaltenen Folie 11 zeigt die Bahn, wie die Evakuierung aus einem brennenden Zug im Tunnel abläuft; eine Tunnel-Simulation würde das bestätigen. Doch die Bahn verwahrt sich mit allen Mitteln gegen die Herausgabe dieser Folie 11 und der Simulation; das dürfe auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen, sonst sei die öffentliche Sicherheit bedroht!
Ei, wie das? Welches Problem hat die Bahn damit, die Evakuierung im Tunnel öffentlich zugänglich zu machen? Behauptet sie doch, wie offen und transparent das ganze Vorhaben doch sei; auf ihrer Herzilein-Seite werde ja über alles berichtet - allerdings nur das, was der leichtgläubige Bürger als Erfolgsmeldung wissen soll.
Was nun die Räumung eines brennenden Zuges im Tunnel anbelangt, geht das offensichtlich doch nicht so glatt und reibungslos wie von der Bahn immer hingestellt. Dauert die Flucht in die sichere Röhre doch viel länger als die Rauchausbreitung, mit hunderten Toten und Verletzten? Wir wollen das genauer wissen und haben die Bahn nach UIG (Umweltinformationsgesetz) auf Einsichtnahme in jene geheimnisvolle Folie 11 und die Tunnelsimulation verklagt.
Doch das Verwaltungsgericht Stuttgart hat unsere Klage abgewiesen und auch keine Berufung zugelassen – Justitia ist auf dem S21-Auge blind! Mit der Urteilsbegründung hat es sich die Richterin sehr einfach gemacht und die Stellungnahme der Bahn nahezu wortwörtlich übernommen - ein Skandal.
1. Evakuierung keine Umweltinformation
In der Urteilsbegründung heißt es, „die vom Kläger begehrten Informationen sind keine Umwelt-Informationen. Nach Angabe der Beklagten beinhalten diese eine – von den konkreten Plänen des Großbauprojektes Stuttgart 21 losgelöste – Darstellung über die Evakuierung eines stehenden Zuges im Tunnel und Berechnungen über die Evakuierungsdauer und den Evakuierungsablauf. Wie die Beklagte zu Recht dargelegt hat, enthalten die begehrten Informationen demnach keine Daten über Umweltbestandteile oder über Faktoren wie „Feuer“. Insbesondere enthalten die Dokumente auch keine Daten dazu, wie sich ein Feuer auf Umweltbestandteile auswirkt, sondern wie die Evakuierung bei einem Brand im Tunnel zu erfolgen hat. Der Brand liegt den Dokumenten also nicht als tatsächliche Gegebenheit zugrunde, sondern wird als rein hypothetisches Schadensereignis angenommen. Hypothetische Schadensereignisse sind aber keine Zustände oder Faktoren im Sinne dieser Vorschrift.“
Mit dieser verschwurbelten Begründung widerspricht sich das Gericht jedoch selber: Ein Brandereignis ist unstreitig ein Umweltbestandteil; das bestreitet auch das Gericht nicht. Die Evakuierung vom Brandgeschehen zu trennen ist nicht haltbar - die Räumung aus einem brennend im Tunnel liegengebliebenen Zug ist unmittelbare und unausweichliche Folge eines Brandgeschehens; somit handelt es sich hierbei unstreitig um eine Umwelt-Information, zu deren Herausgabe die Beklagte gesetzlich verpflichtet ist.
Ein Brandgeschehen geht stets mit einer starken Rauchentwicklung einher, die Leben und Gesundheit der aus dem Zug Flüchtenden bedroht, wenn die Rauchausbreitung schneller erfolgt als die Evakuierung. Die Bahn muß nachweisen, daß eine solche Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen durch die Evakuierungsmaßnahme sicher vermieden wird; die Öffentlichkeit hat einen grundgesetzlich verankerten Rechtsanspruch darauf!
Zudem handelt es sich bei einem Brandgeschehen im Tunnel keineswegs nur um ein rein hypothetisches Schadensereignis mit extrem geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, das unberücksichtigt bleiben könne, wie die Bahn vorgibt. Allein in Deutschland haben wir im Zeitraum von 1972 bis 2017 in 45 Jahren 74 solcher Vorfälle mit insgesamt 116 Verletzten erfaßt, im Mittel also alle 7 Monate ein Brandfall im Bahntunnel – das ist keineswegs selten, schon gar nicht „extrem selten“ und auch nicht „rein hypothetisch“. Weltweit sind uns 175 schwere Brandereignisse in Bahntunneln mit insgesamt 1.480 Toten und mehr als 5.800 Verletzten bekannt. Es gibt sicher noch viel mehr davon.
2. Öffentliche Sicherheit bedroht
Hierzu heißt es In der Urteilsbegründung:
„Die Folie 11 und die Simulation der Gruner AG enthalten nach den Ausführungen der Beklagten schützenswerte Informationen über den konkreten Ablauf und die Dauer von Evakuierungen eines Zuges im Tunnel. Deren Kenntnisnahme durch Unbefugte könnte zu einem Missbrauch dieser Informationen für einen terroristischen Angriff auf den Bahnbetrieb führen, so dass dadurch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Leib, Leben und Gesundheit Einzelner gefährdet würde. Es ist daher für das Gericht nachvollziehbar, dass es sich bei den … Unterlagen um besonders sicherheitsrelevante Unterlagen für den hochsensiblen Bereich der Tunnelsituation handelt, die nicht allgemein der Öffentlichkeit zugänglich sein dürfen.“
Es ist nicht zu fassen, wie die Bahn hier Ursache und Wirkung verdreht, um durch Schüren von Angst vor einer Terrorgefahr die Einsichtnahme in die Tunnel-Evakuierung zu verhindern – und das Gericht folgt dem blind!
Tatsächlich geht doch die wirkliche Terrorgefahr vom künftigen Tiefbahnhof und den Zulauftunneln an sich aus! Ein Anschlag in unterirdischen Bahnanlagen hat erheblich schlimmere Auswirkungen als oberirdisch auf freier Strecke – das wissen alle Terroristen und brauchen dazu auch keine Nachhilfe durch Evakuierungszeiten! Wie oft wurden schon Anschläge auf unterirdische Bahnanlagen verübt mit unzähligen Toten und Verletzten, so in New York, London, Madrid, Brüssel, Moskau, Minsk, St. Petersburg und erst kürzlich wieder in New York.
Tatsächlich wird doch mit dem Bau von Stuttgart 21 die Gefahr von Terroranschlägen geradezu heraufbeschworen! Dazu bedarf es keiner Folie 11 mit Darstellung der Evakuierungszeit; diese ist zur Vorbereitung und Durchführung eines Terroranschlages völlig nutzlos. Es genügt die Kenntnis der Zugänge zum Bahnhof und zu den Tunneln; diese sind ohnehin öffentlich bekannt und für jedermann zugänglich. Die Geheimhalterei durch die Bahn ist sinnlos und nur vorgeschoben, um die schweren Mängel beim Brandschutz gegenüber der Öffentlichkeit zu vertuschen.
3. Kein öffentliches Interesse
Abgewiesen wurde unsere Klage auch, weil kein öffentliches Interesse dargelegt sei. In der Urteilsbegründung heißt es dazu:
„Der Kläger hat im Klageverfahren auf die Bedrohung von Leib und Leben der Fahrgäste verwiesen. Zwar besteht ein grundsätzliches öffentliches Interesse daran, zu erfahren, wie die Sicherheitskonzepte im Rahmen des Großprojektes Stuttgart 21 ausgestaltet sind. Dieses Interesse richtet sich aber maßgeblich auf Sicherheitsaspekte und nicht auf spezifische Ziele des Umweltschutzes. Ein überwiegendes öffentliches Interesse hat der Kläger demnach nicht geltend gemacht.“
Das ist ja nun wirklich ein starkes Stück, die erhebliche Bedeutung des Vorhabens Stuttgart 21 im öffentlichen Bewußtsein zu verneinen. Von Beginn an seit Anfang der 90iger Jahre gibt es eine bis heute andauernde starke landesweite Protestbewegung gegen dieses Vorhaben Stuttgart 21 mit unzähligen Großdemonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern, regelmäßigen Montags-Demos, inzwischen über 400 mal mit jeweils um die tausend Teilnehmer, eine seit 8 Jahren ununterbrochen besetzte Mahnwache vor dem HBf; es gab unzählige Baustellen-Blockaden, und es gab die Proteste im Mittleren Schloßgarten an jenem 30.September 2010, die auf Anweisung der Politik-Spitze brutal und rechtswidrig von der Polizei niedergeknüppelt wurden mit hunderten verletzten Demonstranten, davon vier Schwerverletzte, was als „Schwarzer Donnerstag“ in die Geschichte einging.
Es gab weiter die sogen. „Schlichtung“ im November 2010, in der sechs Wochen lang bei laufender Kamera vor einem Millionen-Publikum die Mängel und Schwachstellen des S21-Vorhabens zerpflückt und neben der unzureichenden Finanzierung und dem Leistungsrückbau auch die deutliche Verschlechterung der Sicherheit für Fahrgäste und Bahnmitarbeiter durch die regelwidrig sechsfach überhöhte Gleisneigung in der Tiefbahnsteighalle und die unzureichenden Brandschutz-Maßnahmen beanstandet wurde.
Es gab weiterhin vier Bürgerbegehren gegen das Vorhaben mit insgesamt weit über einhunderttausend Unterzeichnern; es gab Online-Petitionen mit zehntausenden Unterzeichnern, und es gab zu allen Planfeststellungsverfahren jeweils tausende schriftliche Einwendungen.
Und schließlich haben bei der Volksabstimmung (am 27.11.2011) 1,507 Mio. Wähler in Baden-Württemberg gegen das Vorhaben „Stuttgart 21“ gestimmt.
Wie kann angesichts all´ dessen ein öffentliches Interesse verneint werden?
Wir klagen jetzt auf Zulassung der Berufung.
Oben bleiben!