Rede von Dipl-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22 „Überflutungsgefahr durch S21", 388. Montagsdemo am 9.10.2017
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Vor einer Woche - am Tag der Deutschen Einheit - schockte die Online-Ausgabe der STZ mit der Überschrift „S21-Baustelle bei Unwetter geflutet“ und zeigte Bilder von der unter Wasser stehenden Baustelle und der Feuerwehr beim Abpumpen. Merkwürdig nur, daß Tags darauf die Druckausgabe der STZ diese Überflutung der S21-Baustelle mit keinem einzigen Wort mehr erwähnte – hat da die Chefredaktion mal wieder einen Maulkorb verhängt? In der Druckausgabe wurde nämlich nur noch von einem umgestürzten Baum berichtet und daß die Straße vor der Wilhelma unter Wasser stand und der Stadtbahnverkehr stundenlang gestört war als Folge des Unwetters, das in den frühen Morgenstunden des 3. Oktober 2017 über Stuttgart niederging.
Dabei war dieses Unwetter mit gerade mal 10 l Regen je m² hier in Stuttgart eher bescheiden – andernorts fiel ein Mehrfaches dieser Regenmenge und führte dort zu erheblichen Überschwemmungen. Dennoch war die S21-Baugrube hinter dem Nordausgang des Bahnhofs meterhoch unter Wasser, das wohl die Heilbronner Straße heruntergeschossen kam und in die Baugrube geströmt ist.
Dies Ereignis müßte den Verantwortlichen einmal mehr klarmachen, daß der Bau der S21-Tiefbahnsteighalle nicht zu verantworten ist, und zwar auch, weil dadurch die Überflutungsgefahr für die Stuttgarter Innenstadt deutlich vergrößert wird.
Der Stuttgarter Talkessel als Einzugsgebiet des Nesenbachs hat eine Fläche von 4.360 ha; bei 10 l/m² ergibt das 436.000 m³ Niederschlagswasser in zwei Stunden, stündlich also 218.000 m³. Der Nesenbachkanal kann 100 m³/s abführen; das sind 360.000 m³/h, was hierfür ausreichend war. Bei 16 l Regen je m² allerdings erreicht der Nesenbachkanal seine Leistungsgrenze; noch größere Regen führen zu Rückstau im Kanal und zu Überflutungen.
Der S21-Bahnhofstrog zerschneidet alle großen Abwasserkanäle der Innenstadt, die deshalb umgelegt und als Düker darunter hindurch geführt werden müssen. Dadurch wird deren Abflußleistung verringert. Die Abwassersammler können dann die großen Regenwassermassen nicht mehr abführen; Straßen und Keller werden überflutet. Künftig werden schon geringere Regen als bisher zum Rückstau im Kanalnetz führen und nicht mehr sicher abgeleitet – ein weiterer erheblicher Nachteil von Stuttgart 21. Allein schon wegen dem Hochwasserschutz hätte das Vorhaben Stuttgart 21 nie genehmigt werden dürfen!
Letztes Jahr hatten sich schwere Unwetter mit Starkregen über Baden-Württemberg und Bayern ausgetobt. Betroffen waren u.a. Schorndorf und Schwäbisch-Gmünd, wo ein kleines Bächlein so anschwoll, daß die Kanalisation die Wassermassen nicht mehr ableiten konnte und die Bahnhofsunterführung überflutete, wobei zwei Menschen ums Leben kamen. Am Ärgsten hatte es das Dörfchen Braunsbach erwischt, das nach einem Starkregen in einen reißenden Sturzbach verwandelt wurde, der alles mit sich riß und den Ort schwer verwüstete. In diesem Sommer war vor allem Norddeutschland nach tagelangen Starkregen von solchen Hochwasser-Katastrophen mit unabsehbaren Schäden betroffen, so Hildesheim, Braunschweig, Köln und Berlin, wo sogar eine unterirdische U-Bahnhaltestelle überflutet wurde.
Stuttgart blieb bislang verschont; doch das wird so nicht bleiben – der Klimawandel erhöht die Gefahr schwerer Unwetter. Nur die S21-Befürworter glauben, daß so etwas in Stuttgart nicht geschehen werde. Langanhaltende ergiebige Regenfälle und daraus folgende verheerende Hochwasser-Ereignisse sind auch in hier im Neckarraum jederzeit möglich und in der Vergangenheit immer wieder aufgetreten, etwa das Hochwasser von 1824, als nach tagelangem Regen der Neckar über die Ufer trat und in Esslingen das Wasser 11 m hoch stand. Auch Cannstatt und Stuttgart waren schwer betroffen. Immer wieder wurde Stuttgart von schweren Überflutungen heimgesucht, im Schnitt etwa viermal im Jahrhundert. So zuletzt am 15. August 1972, als tiefergelegene Teile der Innenstadt unter Wasser standen und 6 Menschen dabei umkamen. Die gerade neu gebaute Straßenunterführung am Charlottenplatz war vollgelaufen; etliche Autos schwammen darin umher. Die Klettpassage gab es damals noch nicht; sonst wäre die wohl auch abgesoffen. Am 18.5.1966 gingen bei einem schweren Unwetter über Stuttgart 4 Mio. m³ Regen nieder, 91,7 l/m² - das ist neunmal soviel wie jetzt am 3.10.2017! Der Schwanenplatz und weitere Teile der Stadt standen damals unter Wasser; eine Mauer wurde von den Wassermassen eingerissen.
Bedingt durch die Kessellage Stuttgarts schießen bei einem schweren Sturzregen große Wassermassen von den Hängen herunter und strömen in den Nesenbach, der dann sofort gefährlich anschwillt. Darin unterscheidet sich Stuttgart von allen anderen Großstädten Deutschlands, die allesamt eben sind, so daß das Wasser dort nach allen Seiten abfließen kann. Hier in Stuttgart aber kann es nur das Nesenbachtal hinunter zum Neckar ablaufen. Doch dieser natürliche Abflußweg soll nun durch den quer dazu liegenden S21-Tiefbahnhof als ein bis zu 8 m hoher Damm versperrt werden. Die vor dem Planetarium vorgesehene Abflußrinne liegt immer noch 2 m über dem Tiefpunkt in der Schillerstraße.
Bei einem schweren Starkregen-Unwetter wird sich folglich das Wasser bis zum Schloßplatz zurückstauen und einen großen bis zu 2 m tiefen Stausee bilden, wobei die Klettpassage samt S- und Stadtbahntunnel volllaufen, die danach wochenlang gesperrt bleiben müssen, bis alle Überflutungsschäden beseitigt sind. Und über den S-Bahn-Zugang wird auch die S21-Tiefbahnsteighalle ebenfalls absaufen. Dann wäre der Bahnbetrieb von und nach Stuttgart für längere Zeit eingestellt – gerade wegen S21. Im oberirdischen Kopfbahnhof ist so etwas gar nicht möglich.
Doch auch ohne Jahrhundert-Hochwasser können die Neckartunnel absaufen, wenn nämlich der Grundwasserstand den Bemessungsgrundwasserstand (BGW) überschreitet. Um das Aufschwimmen des Tunneltroges zu verhindern, tritt dann Wasser durch Notflutöffnungen in den Tunnel über und flutet diesen. Das ist im Planfeststellungsbeschluß ausdrücklich so vorgegeben. Natürlich fährt dann kein Zug mehr durch den Tunnel; damit aber ist der Zugverkehr im Tiefbahnhof nachhaltig gestört, und dies für Monate! Denn das Wasser muß ja wieder aus dem Tunnel abgepumpt werden; das ist erst möglich, wenn der Grundwasserstand wieder hinreichend weit abgesunken ist –allein das kann schon eine Weile dauern. Dann wird das Abpumpen Wochen brauchen; denn bedingt durch ihre Tieflage werden beide Tunnelröhren bis kurz vor den Tiefbahnhof vollaufen, insgesamt etwa 500.000 m³. Mit einer Pumpenleistung von 100 m³/h wird es 5.000 Stunden, also 281 Tage dauern, bis die Tunnel wieder leer sind! Anschließend muß alles getrocknet und vom Schlamm gereinigt werden – bei insgesamt über 12 km Tunnel wird auch das eine Weile dauern. Sodann muß die gesamte Elektrik und Signaltechnik überprüft und wieder instand gesetzt werden, bevor der Zugverkehr wieder aufgenommen werden kann.
Auch am Tiefbahnhof sind solche Notflutöffnungen zur Auftriebssicherung bei Überschreiten des BGW vorgesehen, um zu verhindern, daß der Tiefbahnhof aufschwimmt und dabei schwer beschädigt wird wie seinerzeit der Schürmann-Bau in Bonn, der sich 1993 bei einem Rhein-Hochwasser um 70 cm anhob und so erhebliche Schäden davontrug, daß der Abbruch und Neubau erwogen wurde.
Als aber der Stuttgarter Architekt Frei Otto, u.a. Planer des Münchner Olympiadachs, unter Hinweis auf die Auftriebsgefahr des Tiefbahnhofes vom S-21-Vorhaben abriet, bei dem er im Auftrag des Düsseldorfer Architekts Ingenhoven die Lichtaugen plante, erklärte ihn Ingenhoven als nicht kompetent, dies zu beurteilen!
Was für ein Schildbürgerstreich sondergleichen, wie sich die S21-Macher mit dem Bau von Stuttgart 21 über all´ dies hinwegsetzen und der Allgemeinheit solche Risiken aufbürden mit der Behauptung, so etwas käme doch nur bei einem Jahrtausend-Hochwasser vor! Das aber kann schon demnächst anstehen und wird keine tausend Jahre auf sich warten lassen.
Zudem trägt das Vorhaben Stuttgart 21 selber zum Klimawandel und damit zur Häufung schwerer Unwetter bei: die Erzeugung des verwendeten Stahles als auch des Zements für den Beton erfordert sehr große Energiemengen; dabei werden große CO2-Mengen freigesetzt – 1,4 t CO2 je t Stahl und 0,84 t CO2 je t Zement.
Die für S21 verbauten 8,8 Mio. t Beton und Stahl sowie das Graben der 60 km Tunnel verursachen eine Freisetzung von 2,5 Mio. t CO2; etwa die gleiche Menge CO2 zusätzlich entsteht durch die zu erwartende Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße während der nächsten 30 Jahre aufgrund der Kapazitätsverringerung der nur 8gleisigen Tiefbahnhaltestelle S21.
So kann das Klimaziel „Null CO2“ bis 2050 nie erreicht werden!
Wie man es auch dreht und wendet – der Bau von Stuttgart 21 ist und bleibt unverantwortlich!
Oben bleiben!