Rede von Hans Heydemann "S21 und die Überflutungsgefahr", 380. Montagsdemo am 07.08.2017
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Was hat Stuttgart 21 mit Überflutungsgefahr zu tun - mit Bildern, wie sie die Tagesschau in den letzten Wochen aus Goslar, aus Hildesheim, Braunschweig und anderswo gezeigt hatte, mit Straßen, die nach schweren Regenfällen zu Sturzbächen wurden, die alles mit sich rissen und unabsehbare Schäden hinterließen? Zuvor war Köln von solchen Wassermassen betroffen, und Anfang Juni wurde Berlin von tagelangen Starkregen überschwemmt. Dabei wurde u.a. auch eine unterirdische U-Bahnhaltestelle überflutet.
Vor einem Jahr hatten sich solche Unwetter über Baden-Württemberg und Bayern ausgetobt. Betroffen waren Schorndorf und Schwäbisch-Gmünd, wo ein kleines Bächlein so anschwoll, daß die Kanalisation die Wassermassen nicht mehr ableiten konnte und die Bahnhofsunterführung überflutete, wobei zwei Menschen ums Leben kamen. Am Ärgsten hatte es das Dörfchen Braunsbach erwischt, das nach einem Starkregen in einen reißenden Sturzbach verwandelt wurde, der alles mit sich riss und den Ort schwer verwüstete.
Wie heute morgen berichtet wurde, gab es an diesem Wochenende auch in Österreich nach Starkregen schwere Überschwemmungen; das Großarltal war durch Erdrutsche von der Außenwelt abgeschnitten. Und in St. Orleans / USA sind nach schweren Regenfällen Teile der Innenstadt überflutet.
Stuttgart war in letzter Zeit bislang von solchen Ereignissen verschont; doch das wird so nicht bleiben – der Klimawandel erhöht die Gefahr schwerer Unwetter, und früher oder später wird es auch Stuttgart treffen!
In der Vergangenheit wurde auch Stuttgart immer wieder mal von schweren Überflutungen heimgesucht, so zuletzt vor 45 Jahren am 15. August 1972, als tiefergelegene Teile der Innenstadt unter Wasser standen und mehrere Menschen dadurch umkamen. Die gerade neu gebaute Straßenunterführung am Charlottenplatz war vollgelaufen; etliche Autos schwammen darin umher. Die Klettpassage gab es damals noch nicht; sonst wäre die wohl auch abgesoffen. Die Chronik berichtet immer wieder von schwersten Überflutungen der Stadt durch den Nesenbach, im Schnitt etwa viermal im Jahrhundert. Besonders schlimm traf es die Stadt im Jahre 1508: mannshoch sei das Wasser auf dem Marktplatz gestanden; mehrere Häuser seien von der Flut weggerissenen worden, es habe 11 Tote gegeben, heißt es in der Chronik.
Bedingt durch die Kessellage Stuttgarts schießen bei einem schweren Sturzregen große Wassermassen von den Hängen herunter und strömen in den Nesenbach, der dann sofort gefährlich anschwillt. Gerade darin unterscheidet sich ja Stuttgart von allen anderen Großstädten Deutschlands, die allesamt eben sind, so daß das Wasser dort nach allen Seiten abfließen kann. Hier in Stuttgart aber kann es nur das Nesenbachtal hinunter zum Neckar ablaufen. Und genau dieser natürliche Abflußweg soll nun versperrt werden durch den quer dazu liegenden S21-Tiefbahnhof, der einen bis zu 8 m hohen Damm bildet. Wer´s nicht glaubt, der kann sich schon heute auf der S21-Baustelle selbst davon überzeugen: das bereits gebaute Einlaufbauwerk des Cannstatter Dükers neben der inzwischen abgerissenen Straßenbrücke überragt das Gelände um diese Höhe und deutet den vorgesehenen Verlauf des über der Tiefbahnsteighalle aufgeschütteten Walles an. Die am Ende der Tiefbahnsteighalle vor dem Planetarium vorgesehene Abflußrinne wird dann immer noch 2 m über dem Tiefpunkt in der Schillerstraße liegen.
Bei einem schweren Starkregen-Unwetter wird sich folglich das Wasser bis zum Schlossplatz zurückstauen und einen großen 2 m tiefen Stausee bilden, wobei die Klettpassage samt S- und Stadtbahntunnel volllaufen werden und danach wochenlang gesperrt bleiben müssen, bis alle Überflutungsschäden beseitigt sind. Und über den S-Bahntunnel wird auch die S21-Tiefbahnsteighalle ebenfalls absaufen, selbst dann, wenn der Wasserstand den nur wenige cm über der Abflußrinne liegenden Hauptzugang nicht erreichen sollte. Dann wäre auch der Bahnbetrieb von und nach Stuttgart für längere Zeit eingestellt.
Was für ein Schwabenstreich sondergleichen, welch´ ungeheure Dummheit der S21-Macher, sich mit dem Bau von Stuttgart21 über diese örtlichen Gegebenheiten kurzerhand hinwegzusetzen und den natürlichen Abflußweg zu verbauen! Und wie verantwortungslos, der Allgemeinheit solche Risiken aufzubürden mit der Begründung, so etwas käme doch allenfalls nur bei einem Jahrtausend-Hochwasser vor! Das aber kann schon nächstes Jahr anstehen und wird keine tausend Jahre auf sich warten lassen.
Wirksamer Hochwasserschutz sieht anders aus. Doch anstatt diesen zu verbessern, wird er hier durch S21 verschlechtert.
Verschärft wird diese Gefahr noch dadurch, daß der S21-Bahnhofstrog alle großen Abwassersammler der Innenstadt, die ja auch das Überflutungswasser aufnehmen und abführen müssen, zerschneidet. Diese müssen deshalb sehr aufwendig unter dem Bahnhofstrog als Düker hindurchgeführt werden als Voraussetzung dafür, daß der S21-Tiefbahnhof überhaupt gebaut werden kann.
Mit dem Einbau der S21-Düker wird sich eine Verschlechterung der Abwasser-Ableitung aus der Innenstadt einstellen. Die mehrfachen Umlenkungen und Querschnittsänderungen der Düker erhöhen den Durchfluß-Widerstand gegenüber den heute gerade durchlaufenden Kanälen beträchtlich. Als Folge wird bei einem schweren Starkregen-Ereignis wie zuletzt am 15.8.1972 die Überflutungsgefahr in der Innenstadt deutlich erhöht. Stuttgart ist von seiner Kessellage geprägt; in Minutenschnelle stürzt das Regenwasser die Hänge herab, staut sich im Nesenbachkanal und den anderen Abwassersammlern vor den S21-Dükern an und tritt dann aus den Straßengullys aus. Künftig werden schon geringere Regen als bisher zum Rückstau im Kanalnetz führen und nicht mehr sicher abgeleitet – ein weiterer erheblicher Nachteil von Stuttgart21. Allein schon aufgrund des Hochwasserschutzes hätte das Vorhaben Stuttgart21 nie genehmigt werden dürfen!
Hinzu kommen betriebliche Nachteile Die Düker müssen im Gegensatz zu den durchlaufenden Abwasserkanälen regelmäßig gereinigt werden und verursachen im Betrieb laufend erhebliche Wartungs- und Instandhaltungskosten von rd. 500.000 € jährlich als zusätzliche Ausgaben der Stadt. Das Tiefbauamt hat hierzu lediglich erwidert, die Reinigungs- und Wartungskosten seien denen anderer Sonderbauwerke vergleichbar – welch eine Verschleierung! Die Stadt Stuttgart hat bislang keine derartigen Düker in dieser Größe; das wird für die alles neu und zusätzlich sein.
Aus abwassertechnischer Sicht hätte das Tiefbauamt diesen S-21-Dükern niemals zustimmen dürfen; damit wäre S21 nicht machbar gewesen!
Jetzt wird auch noch ein weiteres finanzielles Risiko für die Stadt sichtbar, auf das wir schon vor drei Jahren hingewiesen haben, nämlich jenes unselige CBL-Geschäft der Verleasung des Stuttgarter Abwasser-Netzes an einen US-Investor von 2002 zur Beihilfe der Steuerhinterziehung des Investors in den USA, eingefädelt vom vormaligen OB Schuster und beschlossen vom Gemeinderat, auch mit Zustimmung der GRÜNEN, um mit dem dafür kassierten Barwertvorteil der Bahn vorzeitig die Gleisflächen abkaufen zu können - als verstecktes zinsloses Darlehen an die Bahn zum Bau von Stuttgart21. Auch wenn von der Stadtverwaltung jeglicher Zusammenhang mit dem Kauf der Gleisflächen bestritten wird: zu auffällig sind sowohl die Höhe des Verkaufswertes von 454 Mio. € zum Kaufwert der Gleisflächen mit ebenfalls 454 Mill. € und überdies der Zeitpunkt: beide Geschäfte wurden in etwa zeitgleich Ende 2002 abgewickelt. Wie trickreich die Dinge doch miteinander verwoben sind – da blickt kein normaler Bürger wie Du und ich mehr durch!
Kürzlich gab es eine neue Beschlussvorlage von Finanzbürgermeister Föll an den Gemeinderat, er möge doch der Umschuldung der CBL-Bürgschaften von der Portigon AG auf die Deutsche Bank zustimmen. Das wirft Fragen auf nach diesem undurchsichtigen CBL-Finanzgeschäft und den möglichen finanziellen Risiken für die Stadt. Warum jetzt diese Umschuldung? Wie zu erfahren war, wird die Portigon AG, bisheriger Bürge der Stadt für das CBL-Geschäft, jetzt abgewickelt, d.h. aufgelöst, die Kasse ist leer, die Papiere sind also wertlos; im Zweifel droht der Stadt ein Verlust in -zigfacher Millionenhöhe! Das haben schon andere leichtgläubige CBL-Verleaser mit hohen Verlusten leidvoll erfahren müssen.
Was hat nun die Deutsche Bank – inzwischen selber angeschlagen - bewogen, hier als Bürge für die Stadt einzuspringen? Ein freundliches Lächeln von OB Kuhn wird da sicher nicht gereicht haben. Über die Zahlungen an die Deutsche Bank für diese „Gefälligkeit“ erfährt man nichts. Auch nichts darüber, warum die LBBW, an der Stadt und Land ja beteiligt sind, die Übernahme dieser Bürgschaft abgelehnt hat. Das CBL-Abenteuer kann die Stadt bis zum Fälligwerden am Ende der Vertragslaufzeit 2032 noch teuer zu stehen kommen – allen Beschwichtigungen aus dem Rathaus zum Trotz.
Der Käs ist eben noch lange nicht gegessen – aber er stinkt immer gewaltiger!
Oben bleiben!
Hans Heydemann