Rede von Hans Heydemann: „Stuttgart 21 übertrifft BER – von Dükern, Tunnelbauschäden und ungelöstem Brandschutz", 370. Montagsdemo am 22.5.2017
Langfassung der Rede
Liebe Mitstreiter und Kopfbahnhof-Freunde!
Kürzlich hat die ARD in ihrer Sendung „Brisant“ eines Jubiläums der besonderen Art gedacht: 5. Jahrestag der Nicht-Inbetriebnahme des künftigen Berliner Großflughafens BER! Dazu den ganzen Reigen der (un-)verantwortlichen Politiker von Platzeck bis Mehdorn mit ihren flotten Sprüchen damals, man sei auf einem guten Weg und zuversichtlich, daß der Flugbetrieb jetzt bald losgehen werde. Inzwischen sind fünf Jahre vergangen; auf dem Rollfeld wächst derweil Gras, von Fliegern keine Spur! Und Stuttgart 21 wird die nächste, noch größere Pleite sein!
Stuttgart 21 sei im Bau, es gebe kein Zurück; er sei finster entschlossen, das Vorhaben zu den vereinbarten Kosten und Terminen fertigzustellen – so der neu ernannte Bahn-Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz. Doch der Kostenrahmen wurde schon mal um die Hälfte auf 6,5 Mrd. € erhöht und der Zeitrahmen von ursprünglich 2019 auf jetzt 2023 verlängert – weitere Kostensteigerungen und Terminverschiebungen sind absehbar. Vom kostensparenden Umstieg21 will man bei der DB und deren Aufsichtsrat nichts wissen; Stuttgart 21 wurde vom Aufsichtsrat abermals vertagt.
Beim Bau von Stuttgart 21 geht es – allen verkündeten Beschleunigungsmaßnahmen zum Hohn – nur außerordentlich zögerlich voran. In den drei Jahren seit dem Beginn der Baugrube 16 hat man dort gerade mal ein Stück Bodenplatte betoniert, der ganze Rest ist noch nicht einmal fertig ausgehoben. Immerhin wurde jetzt mit dem Bau der ersten Kelchstütze begonnen – nach Bauplan war das im September 2015 vorgesehen, also vor knapp 2 Jahren. Die neue Bauzeitplanung der DB sieht nun vor, den Rohbau der Tiefbahnsteighalle 2021 fertigzustellen. Mit Innenausbau sowie Betriebserprobung wird es dann Ende 2024, ehe Stuttgart 21 in Betrieb gehen könnte. Die Genehmigung der 18. PÄ zum Verschieben der Fluchttreppen steht immer noch aus. Doch man ändert munter weiter – es gibt inzwischen über 70 Planänderungen zu diesem bestgeplanten Projekt aller Zeiten!
Der Bau des Nesenbachdükers zieht sich gleichfalls in die Länge; nach Mitteilung der DB soll er jetzt erst 2019 fertig sein – eigentlich hätte er schon vor vier Jahren, im Juni 2013 in Betrieb gehen sollen; doch erst im Juni 2015 wurde überhaupt mal mit dem Bauen angefangen. Erst wenn der Nesenbachdüker fertig ist und in Betrieb genommen wurde, kann der darüber liegende Teil der Tiefbahnsteighalle gebaut werden. Andererseits kann der Nesenbachdüker aber erst fertiggebaut werden, wenn die SSB den darunterliegenden Stadtbahntunnnel vom Bahnhof zur Staatsgalerie gebaut hat. Bis jetzt sieht man davon nur eine halbfertige Teil-Baugrube. Den zum Bahnhof führenden Tunnel hingegen kann die SSB aber erst bauen, wenn der Nesenbachdüker fertig ist.
Die gegenseitigen Abhängigkeiten der einzelnen Bauwerke zueinander sind so verworren, daß ein störungsfreier Bauablauf kaum zu erwarten ist. Das Nachhinken eines Bauteils wirkt sich dabei unweigerlich auf die übrigen aus und somit auf die Gesamt-Fertigstellung. Erschwerend kommt hinzu, daß die einzelnen Bauwerke von unterschiedlichen Bauunternehmen im Auftrage verschiedener Bauherren zu erstellen sind. Damit erklärt sich auch, warum die SSB kürzlich bekannt gab, die Fertigstellung der neuen Haltestelle Staatsgalerie verzögere sich, die alte Haltestelle müsse noch mehrere Jahre in Betrieb bleiben. Die Sperrung der Strecke Charlottenplatz – Staatsgalerie verlängere sich bis Dezember 2017, also auf 1½ Jahre – ursprünglich sollte das nur 6 Monate dauern. Die anschließende Sperrung des Streckenabschnittes Hbf – Staatsgalerie, 2014 noch mit 26 Monaten angegeben, soll jetzt mehrere Jahre dauern – genauer will sich die SSB nicht mehr festlegen. 2010 hatte es noch geheißen: Hauptbauarbeiten der SSB dauern von 2012 bis 2016 mit einer vierzehntägigen Sperrung. Soviel zur Verläßlichkeit der Angaben von Bahn und SSB! Wo ist da ein Unterschied zum BER?
Kürzlich ließ die Bahn über die Tagespresse verkünden, die Hälfte der Zulauftunnel für Stuttgart 21 sei jetzt geschafft. Was nicht dazu gesagt wurde, ist daß die großen Anhydrit-Strecken beim Fildertunnel und beim Kriegsbergtunnel und damit die größten Schwierigkeiten erst noch bevorstehen. Und zur Hälfte fertig sind die Tunnel noch lange nicht – der untere Tunnel-Abschnitt bis zur Sohle, immerhin etwa 1/6 des Ausbruch-Querschnittes, ist aus bautechnischen Gründen noch gar nicht ausgehoben; das geschieht erst unmittelbar vor dem Einbau der tragenden Innenschale, die ebenfalls noch fehlt und erst zwei Jahre nach den Tunnel-Ausbrucharbeiten eingebaut werden soll. Solange muß die vorläufige Spritzbeton-Schale dem Gebirgsdruck alleine standhalten. Da stehen noch etliche weitere Überraschungen an.
Überraschungen erlebten indes schon etliche Hausbesitzer, unter deren Grundstück oder in deren Nachbarschaft ein Tunnel gebohrt wurde. Immer wieder mal wurde in der Zeitung von Schäden an untertunnelten Gebäuden berichtet, die durch die unvermeidlichen Setzungen nach dem Tunnelvortrieb oder durch die Sprengarbeiten ausgelöst waren. Doch die Bahn bestreitet stets jeden Zusammenhang mit den Tunnelbauarbeiten und den Sprengungen.
Ansprüche auf Schadensersatz werden von der DB zurückgewiesen mit der Behauptung, die Setzungen wie auch die Erschütterungen lägen allesamt im zulässigen Bereich und könnten deshalb die Risse in den Gebäuden auch nicht hervorgerufen haben! Es müsse sich folglich um Altschäden handeln, für die sie nicht aufzukommen habe. Die S21-geschädigten Hauseigner stehen mit leeren Händen da; von der bei Unterzeichnung des Gestattungsvertrages von der Bahn zugesicherten „unbürokratischen Schadensregulierung“ ist keine Rede mehr; ein Klageverfahren gegen die DB kann sich über Jahre hinziehen, mit ungewissem Ausgang.
Viele sind gutgläubig darauf hereingefallen – die Bahn hat kürzlich bei einer Bürger-Veranstaltung in Degerloch eingeräumt, ihr seien 85 solcher Schäden gemeldet worden, wovon 47 derzeit geprüft würden. 85 S21-geschädigte Hausbesitzer – von denen nur die allerwenigsten überhaupt als S21-Geschädigt anerkannt werden und dann allenfalls eine geringfügige Entschädigung zugesprochen erhalten – nach jahrelangem Nervenkrieg mit Behörden, Versicherungen und Gerichten! Und es können noch weit mehr werden; die Tunnelarbeiten gehen ja noch jahrelang weiter. Wir haben eine Liste über bekanntgewordene Fälle angelegt; wer solche Tunnelbauschäden kennt, möge diese bitte uns oder bei der Mahnwache melden, damit möglichst viele erfaßt werden.
In einem Geschäftshaus in der Jägerstraße, unter dem der neue Stadtbahntunnel gebaut wurde, habe ich mit eigenen Augen eine Vielzahl von teils beachtlichen Rissen in tragenden Bauteilen gesehen, das Gebäude ist einseitig leicht gekippt und hat sich verzogen, viele Fenster ließen sich nicht mehr schließen. Auch hier hat der Gutachter angegeben, es handele sich überwiegend um Altschäden, und hat nur einen geringen Schadensumfang anerkannt.
Vorläufiger Höhepunkt dieser Tunnelbaubedingten Gebäudeschäden: der Einsturz einer Unterdecke in der Kunstakademie am Kochenhof am 21. März d.J., bei der zwei Studentinnen verletzt wurden. Der Einsturz ereignete sich kurze Zeit nach einer deutlich wahrnehmbaren Sprengung in dem unter der Kunstakademie verlaufenden Feuerbacher Tunnel. Die Bahn bestreitet jeglichen Zusammenhang mit der Sprengung und verweist auf das Alter der in den 50iger Jahren errichteten Gebäude. Und das für die Kunstakademie zuständigen Landesamt hat diesen Vorfall noch nicht einmal der Bahn als Schadensfall angezeigt, sondern will dies selber regeln – ein unglaublicher Skandal einer weiteren S21-Unterstützung durch die Landesregierung unter Grüner Führung!
Noch ein paar Worte zum unzureichenden Brandschutz bei S21 - eine der Achillesfersen des Vorhabens, die das Desaster beim BER weit in den Schatten stellen wird.
Am 20.10.16 wurde die 15. PÄ Schwall- und Entrauchungsbauwerk „Süd“ genehmigt. Dagegen hatte ich im November 2016 Beschwerde beim EBA eingelegt und Akteneinsicht gefordert – ich wollte wissen, was die Bahn zu meinen Einwendungen entgegnet hatte. Immerhin heißt es im Planänderungsbeschluß des EBA dazu, der Vorhabenträger sei den Bedenken in ausreichender Form begegnet. Doch die Einsichtnahme wurde vom EBA verweigert mit der Begründung, bei den angeforderten Unterlagen handele sich nicht um Umweltinformationen wie Luft, Atmosphäre oder Wasser; das EBA beschied „Entgegen Ihrer Auffassung handelt es sich bei sämtlichen das Vorhaben Stuttgart 21 betreffenden Informationen nicht um Umweltinformationen“. Hiergegen habe ich im März Beschwerde eingelegt und warte seither vergeblich auf Antwort. Die Bürger sollen sich gefälligst mit den Jubel-Meldungen der Bahn zu Stuttgart 21 auf deren Herzilein-Seite zufrieden geben und keine dummen Fragen stellen, und das EBA steht der Bahn dabei zu Diensten.
Inzwischen kauft die Bahn kritische Fachleute auf: Prof. Dr. Uwe Steinborn von der TU Dresden, der 2014 bei der Filder-Anhörung die Bahn mit seinem Vortrag über die Verspätungsanfälligkeit der S-Bahn durch S21 gehörig in Verlegenheit gebracht hatte, ist jetzt Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG. Von ihm kann also keine Kritik mehr kommen.
Doch auch wenn es nicht so scheinen mag, unser Widerstand gegen den S21-Irrsinn ist keineswegs wirkungslos. Unsere Kritik an Stuttgart 21 wird hinter den Kulissen sehr genau verfolgt; das Scheitern von S21 will aber noch niemand von den Verantwortlichen eingestehen, also wird blindlings einfach weitergemacht – und die Verantwortungsträger machen sich einer nach dem andern davon, zuletzt Grube und Kefer. Weitere werden folgen und am Ende wird keiner mehr da sein, um die Verantwortung zu übernehmen.
Doch wir bleiben dabei, wir geben nicht auf.
Wir bleiben Oben!