Unzureichender Brandschutz bei Stuttgart 21 - Offener Brief an den Geschäftsführer der DB PSU vom 10.7.2018

Ingenieure22, c/o Hans Heydemann

DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH z. Hd. Herrn Sturm, Geschäftsführung

Stuttgart, 10. Juli 2018

OFFENER BRIEF

Nachrichtlich:
Eisenbahn-Bundesamt, Außenstelle Stuttgart; Branddirektion Stuttgart; Verkehrsministerium BW; Presseverteiler

Vorhaben Stuttgart 21 / Einsichtnahme in Unterlagen der 1.700 Risiken
hier: Brandschutz: Rauchableitung aus Tiefbahnsteighalle über die „Lichtaugen“

Sehr geehrter Herr Sturm,

der uns anlässlich der Einsichtnahme am 25.6.2018 nebst weiteren Unterlagen übergebene „Ausführungsplan“ als Schnittdarstellung durch die vorgesehenen „Lichtaugen“ mit Planungsstand 12.12.2017 bestätigt die Ihnen am 25.6.2018 vorgetragene Schlussfolgerung, dass diese zur Rauchableitung aus der Tiefbahnsteighalle gänzlich ungeeignet sind, wie im Anhang im Einzelnen dargelegt und ausführlich begründet wird.

Es ist nicht vorstellbar, daß es für diese von ingenhoven architects allein nach gestalterischen Gesichtspunkten und an allen Brandschutz-Anforderungen vorbei entwickelte Lösung jemals eine brandschutzrechtliche Zulassung geben kann.
Allein schon daraus ergibt sich – zusätzlich zu weiteren Fehlern -, dass das vorliegende Brandschutzkonzept, aufgestellt von BPK, auch in der neuesten Fassung fehlerhaft und nicht geeignet ist, die festgelegten Schutzziele einer sicheren Rettung der von einem schweren Brandereignis in der Tiefbahnsteighalle betroffenen Menschen zu gewährleisten!. Das gilt im Übrigen und unabhängig davon erst recht bei einem schweren Brandereignis in einem der Zulauftunnel.

Der dem Brandschutzkonzept und somit der gesamten S21-Planung zugrundeliegende Grundgedanke einer Rauchabdrängung über Rauchabzugsöffnungen in den Lichtaugen mittels maschineller Zuluft-Zufuhr aus den Tunneln ist überdies ohnehin untauglich. Dies hatten wir Ihnen bereits am 25.6.2018 vorgetragen (u.a. Zeitverzögerung bis zu 20 Minuten, Nicht-Umkehrbarkeit der Luftförderung aus den Entrauchungsbauwerken, Schwallbauwerk SÜD zu klein für die Aufstellung der benötigten Großgebläse und Schalldämpfer, Nicht-Regelbarkeit der Luftströme wegen viel zu großer Totzeit u.a.m.). Die eingeblasene Luft – die ohnehin erst nach viel zu langer Zeit (bis zu 20 Minuten!) anstehen wird – entweicht durch alle vorhandenen Öffnungen und nicht nur über die dafür ohnehin zu gering vorgesehenen Rauchabzugsöffnungen der Lichtaugen. Dabei wird der Rauch mitgetragen – auch über die eigentlich rauchfrei zu haltenden Fluchtwege und deren Ausgänge ins Freie, was jedoch zwingend zu vermeiden ist.

Eine sichere Entrauchung der Tiefbahnsteighalle ist nur möglich mit maschineller Absaugung, wie Ihnen am 25.6.18 dargelegt und im Übrigen bereits 2012 von dem damals eingeschalteten Brandschutz-Gutachter Gruner-AG dringend nahegelegt wurde, siehe Stellungnahme der Gruner AG an die DB PSU vom 20.9.2012.

Dies bedingt die Anordnung von Absaugschächten mit Absaug-Gebläsen und Schalldämpfern auf dem Straßburger Platz (siehe Anlage Brandschutz Tiefbahnhof Stuttgart 21). Damit wäre eine gezielte, sofortige Rauch-Absaugung möglich unter Vermeidung der Mängel und Nachteile der vorgesehenen maschinellen Zuluft-Einführung, insbesondere auch die große Zeitverzögerung bis zu deren Wirksamwerden. Dafür ist das dünne Schalendach über der Tiefbahnsteighalle jedoch nicht ausgelegt und muss samt der Kelchstützen neu geplant werden.
Um weiteren Schaden zu vermeiden, muss der Weiterbau von S21 unverzüglich gestoppt und zunächst ein taugliches, genehmigungsfähiges Brandschutzkonzept neu entwickelt sowie die Planung entsprechend überarbeitet werden, auch wenn dies zu weiteren Bauzeitverzögerungen und weiter steigenden Baukosten führen wird. Doch ein Verschließen der Augen vor den aufgezeigten Brandschutz-Problemen und Weiterbauen mit einer falschen Planung wird am Ende noch teurer kommen und noch viel länger dauern, weil dann sehr kostspielig geändert werden muß – siehe Großflughafen BER Berlin.

Besser wäre es deshalb, gleich das vorliegende Alternativkonzept „Umstieg 21“ aufzugreifen und umzusetzen mit einem modernisierten Kopfbahnhof unter bestmöglicher Umnutzung der bereits errichteten Bauteile, wodurch außerdem rd. 5 Mrd. € an Baukosten gegenüber dem Fertigbauen von „Stuttgart 21“ eingespart werden können. Damit wären alle Mängel und Schwachpunkte des Vorhabens „Stuttgart 21“ wie zu geringe Leistungsfähigkeit, gefährliche und unzulässige Bahnsteig-Gleisneigung, unzureichender Brandschutz, Schäden durch aufquellenden Anhydrid, Gefährdung des Mineralwassers u.a.m. beseitigt.

Sehr geehrter Herr Sturm, Sie tragen die Verantwortung für die Umsetzung des Vorhabens Stuttgart 21 mit den aufgezeigten Risiken, die sich aus dem Weiterbau auf der vorliegenden fehlerhaften Planung ergeben.
Sie werden persönlich dafür einstehen müssen und können jetzt nicht mehr sagen, davon nichts gewußt zu haben.

Freundliche Grüße
Dipl.-Ing. Hans Heydemann | Prof. Dr. jur. Dipl.-Ing. Uwe Dreiss | Dipl-.Phys. Wolfgang Kuebart


Anlagen: