Besondere Risiken durch Tunnel und Tiefbahnhof für Stuttgart 21

Tunnelsymbol07.04.2017

In diesem Beitrag wollen wir die besonderen Risiken und Gefahren durch unterirdische Eisenbahnstrecken und im besonderen bei Stuttgart 21 zusammenfassend beleuchten.

Ein Brief mit ähnlichem Inhalt ging bereits vor kurzem an die Aufsichtsräte der Deutschen Bahn.

Sachstand

Der Tiefbahnhof von Stuttgart 21 mit seinen 8 Bahnsteiggleisen zwischen Nord- und Südkopf wird ausschließlich über insgesamt 4, jeweils 2-röhrige Zulauftunnel (eine Röhre pro Fahrtrichtung) mit einer Gesamtlänge von insgesamt ca. 60 km angefahren.

Sowohl am Nordkopf als auch am Südkopf beginnen/enden jeweils 2 Tunnel, nämlich

NORDKOPF

  • Tunnel Feuerbach (ca. 3.000 m)
  • Tunnel Bad Cannstatt (ca. 3.500 m)

SÜDKOPF

  • Fildertunnel  (ca. 9.500m)
  • Tunnel Obertürkheim  (ca. 5.700 m)

Eine direkte oberirdische Zufahrt zum Tiefbahnhof ist nicht vorgesehen, so dass eine Fahrt z.B. vom Flughafen über den Tiefbahnhof bis nach Feuerbach oder Bad Cannstatt komplett unterirdisch verläuft. Nach der Richtlinie  "Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln" des Eisenbahhnbundesamtes (Stand: 1.7.2008) handelt es sich bei allen Tunnel um 'lange' Tunnel, wobei der unterirdische Tiefbahnhof nach der Interpretation der Deutschen Bahn weder als als Tunnel noch als Gebäude eingestuft wird. 

Der nachfolgend eingefügte Streckenverlauf ist eine Bildschirmkopie des Streckenverlaufs, den Sie auf der Webseite des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm nach dem Aufruf der Adresse
http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/mediathek/detail/download/streckenkarte-stuttgart-21/mediaParameter/download/Medium/als Stuttgart21-Streckenkarte...pdf in höherer Auflösung herunterladen können.

 

Quelle: DB Projektbau (Bildschirmkopie)

TUNNEL-RISIKEN

Überleitungsgleise zwischen den beiden Fahrtrichtungsröhren eines Tunnels sind nicht vorgesehen (dies widerspräche dem Einröhrenprinzip, bei dem die Gegenröhre z.B. im Brandfall als sicherer Bereich für die Ereignisröhre gilt und damit von dieser fest zu trennen ist), so dass bereits in einem einfachen Störungsfall, bei dem eine Röhre aus irgendeinem Grund nicht befahrbar ist, nur noch ein eingleisiger Betrieb für beide Richtungen über die gesamte Länge eines Tunnels möglich ist. Dies äußert sich insbesondere im ca. 10 km langen Fildertunnel besonders negativ, weil zur Durchfahrt eine Fahrtzeit von ca. 8 min benötigt wird und so im Richtungswechselbetrieb nur noch ca. 3 Züge pro Stunde und Richtung verkehren können. Da außerdem nur jeweils 5 Bahnsteiggleise des 8-gleisigen Tiefbahnhofs von Süd nach Nord bzw. von Nord nach Süd erreichbar sind, geht eine Sperrung einer einzelnen Tunnelröhre bereits mit erheblichen Einschränkungen der Verkehrsleistung einher. Außerdem kann nicht jedes dieser 5 Gleise aus jedem der Zufahrttunnel erreicht werden. Die Folge ist, dass Züge mit dem Ziel Stuttgart Hauptbahnhof im Störungsfall oder bei Reparaturen diesen zumindest teilweise nicht mehr direkt anfahren können, sondern über alternative Strecken (z.B Schusterbahn) umgeleitet werden müssen und stattdessen an Vorstadtbahnhöfen bzw. Bahnhöfen der Umgebung halten oder enden.

Da sich die Stuttgarter Tunnel wie in keiner anderen deutschen bzw. europäischen Großstadt in einem sehr schwierigen und anspruchsvollen geologischen Umfeld befinden, sind aufwendige Sanierungen während der üblicherweise vorgesehenen Betriebsdauer von 100 Jahren sehr wahrscheinlich und nicht, wie von den Protagonisten behauptet, mehr oder weniger vernachlässigbar. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass sich Reparaturen und Sanierungen von Tunnel und Tunnelstrecken wegen der gegenüber Strecken im freien Gelände erschwerten Zugänglichkeit besonders aufwendig gestalten, erst recht, wenn in den Tunnel zwischen den beiden Fahrtrichtungsröhren keine Überleitstellen vorhanden sind und daher eine komplette Tunnelröhre unbenutzbar wird. Schon eine nicht auszuschließende Entgleisung eines Zuges kann zu einer tagelangen Sperrung eines Tunnels führen.

Die Folgen sind kaum auszudenken, wenn ein Tunnel über viele Monate hinweg saniert werden muss und während dieser Zeit nicht befahren werden kann. Während der prognostizierten Betriebszeit von 100 Jahren muss aber leider mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass zumindest einzelne Tunnel in dieser Zeit sogar mehrfach saniert werden müssen.

Die zu sanierende Röhre muss außerdem ständig als Fluchtröhre für die zweite Tunnelröhre dienen, weil nur alle 500 m ein Querschlag zwischen beiden Röhren, aber keine Notausgänge direkt ins Freie geplant sind. Das kann u.U. bedeuten, dass sogar beide Röhren eines Tunnels gesperrt werden müssen, wenn z.B. eine Sohl- oder Tunnelwanderneuerung erforderlich wird und der Tunnel im Notfall nicht für eine Brandbekämpfung bzw. Entfluchtung/Evakuierung benutzt werden kann.

Selbst einfache Wartungsarbeiten an Gleisen, Signaltechnik und Oberleitung gestalten sich wegen der geringen Tunnelbreite als schwierig und setzen im einfachsten Fall zumindest eine Langsamfahrt der Züge voraus, ganz abgesehen davon, dass das Abladen von Material und Wartungspersonal ein Anhalten des Versorgungszuges im Tunnel erfordert.

Besonders lang andauernde Sperrungen sind durch

  • Anhydritquellungen und der damit verbundenen Gefahr von
    • Sohlbrüchen
    • Tunnelwandbrüchen
    • Einsturz von Tunnelabschnitten

sowie beim nach einigen Jahrzehnten erforderlichen  

  • Austausch des Masse-Feder-Systems (elastische Lagerung des Gleisbetts um die unvermeidlichen Erschütterungen durch fahrende Züge in den darüberliegenden, unterfahrenden Häusern zu verringern)

zu erwarten.

Größere Zugbrände im Tunnel sind zwar sehr selten, aber keinesfalls  auszuschließen und haben dann erhebliche Folgen, insbesondere bei lokbespannten Zügen. Erstens sind bei starken Bränden erhebliche Tunnelschäden durch die große Hitze nicht auszuschließen, wenn der brennende Zug im Tunnel zum Stehen kommt. Zweitens sind beim Vollbrand eines im Tunnel liegengebliebenen Zuges unter Umständen die meisten Fahrgäste nicht mehr zu retten.

Der Brandschutzexperte der DB behauptet zwar, dass ein brennender Zug nie im Tunnel zum Stehen käme, sondern trotz Brand immer noch aus eigener Kraft aus dem Tunnel herausfahren könne, schon weil die Brandentwicklung zum Vollbrand nicht quasi explosionsartig erfolge, sondern dazu einige Minuten benötige (Anmerkung: Damit erhöht sich aber auch die Zeit, die man benötigt, um den Brand überhaupt zu entdecken), schließt aber ein 'gewisses Restrisiko' (Aussage während der Anhörung zum PFA 1.2 - Fildertunnel) nicht aus.

Es  sind schon sehr gewagte Behauptungen, wenn gegebene Gefahren wegen geringer Wahrscheinlichkeiten mehr oder weniger ausgeschlossen werden. Die Empörung wird groß sein, wenn es dann irgendwann doch passiert - man denke nur an das unvergessene Brandereignis am 11.11.2000 bei der Gletscherbahn Kaprun 2 (Link auf Wikipedia), bei dem 155 Menschen - alle durch Rauchvergiftung - starben. Für die DB AG ist Risiko gleich Schadensschwere mal Eintrittswahrscheinlichkeit (vgl. Anhörung zu PFA 1.3). Die Schadensschwere wird dabei durch einen gewissen Geldbetrag gemessen. Wenn wir es aber ernst meinen mit dem Grundgesetz (Recht auf Leben), so ginge diese Gleichung nur dann auf, wenn wir die Schadensschwere bei Verlust von Leben mit Unendlich beziffern und die Eintrittswahrscheinlichkeit unter Ausschöpfung aller verfügbarer Möglichkeiten gegen null drücken.

Die DB kann niemals garantieren, dass ein brennender Zug ohne Zwischenhalt den Bahnhof erreicht, selbst wenn er noch fahrbar ist. Sie müsste dies andernfalls bereits bei der Betriebsführung berücksichtigen, dass es von vornherein nicht toleriert werden kann, dass ein brennender Zug eventuell durch einen vorausfahrenden Zug aufgehalten oder durch ein auf Halt stehendes Signal zum Anhalten gezwungen würde. Diese Garantie setzt voraus, dass ein Zug in einen Tunnel erst hineinfahren darf, wenn die Röhre bis zum Ende frei und der gesamte Fahrweg gesichert ist. Das Allgemeine Eisenbahngesetz verlangt sowohl von den Betreibern der Infrastruktur als auch der Züge eine sogenannte sichere Betriebsführung (§§ 2 und 4 AEG).

Eine solche Garantie würde bedeuten, dass sich immer nur maximal ein Zug in einem durch einen Zwangspunkt verbundenen Tunnelabschnitt befinden darf (Einfahrt von Flughafen und von Obertürkheim her darf nur gleichzeitig erfolgen, wenn im Gleisvorfeld Ost des Tiefbahnhofs kein Fahrstraßenkonflikt besteht). Wäre eine Kreuzung bei der Einfahrt erforderlich, müsste ein Zug in Obertürkheim auf die Einfahrt des Zuges vom Flughafen her warten oder umgekehrt. Diese betrieblichen Einschränkungen sind eine Achillesferse der behaupteten Leistungsfähigkeit von 49 Zügen in der Spitzenstunde. Kein Wunder, dass man die Würdigung dieses Themas auf den Zeitpunkt der Inbetriebnahme verschieben will.

Bei einem Vollbrand müsste der Tiefbahnhof eigentlich bereits evakuiert sein, bevor der brennende Zug in den Tiefbahnhof einfahren und die Evakuierung und der Feuerwehreinsatz beginnen kann.

Außerdem ist nicht auszuschließen, dass ein brennender Zug im Tunnel zum Stehen kommt und nicht mehr fortbewegt werden kann. Ein Brand kann auf ein technisches System übergreifen und eine Störung auslösen, die zu einer Zwangsbremsung führt. Dann lässt sich der Zug nicht mehr  von der Stelle bewegen. Anfällig hierfür sind die Sicherungs- und  Überwachungssysteme und die Datensteuerung wie Bremsrechner, Zugsicherung (PZB,  LZB, ETCS), Sicherheitsfahrschaltung, Datenbus. Hierzu gibt es bereits bei  der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) einen passenden Unfallbericht, aus dem hervorgeht, dass durch Folgen eines Schwelbrandes (noch vor Entstehung einer Vollbrandsituation) bereits ein Sicherheitssystem lahmgelegt werden kann (siehe Bericht zum Zugbrand bei Eilendorf Hp). Damit kann die Behauptung, ein Zug sei sogar unter Vollbrandbedingungen noch mindestens 15 Minuten voll fahrfähig, als in der Praxis widerlegt gelten.

Auf jeden Fall besteht im Brarndfall ein extrem hohes Risiko für die Fahrgäste in einem Zug, der im Tunnel - aus welchem Grund auch immer - zum Stehen kommt. Das geplante Brandschutz- und Entrauchungskonzept entspricht nicht dem Stand der Technik, die Funktionsfähigkeit der Entfluchtung und Evakuierung im Brandfall ist nicht nachgewiesen, obwohl in der o.g. Richtlinie des EBA grundsätzlich gefordert wird (Seite 9): „Die Ausgestaltung des Rettungskonzepts hat unmittelbaren Einfluss auf die bauliche Gestaltung des Tunnelbauwerks. Deshalb müssen die Einzelheiten vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens festgelegt sein.“ (Hervorhebung Ingenieure22). Stattdessen will man auch hier Einzelheiten erst bei der Inbetriebnahmegenehmigung klären.

Zu guter Letzt soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass sich weitere Risiken durch Tunnel auch bei der Unterfahrung von Grundstücken für die Bewohner der unterfahrenen Grundstücke ergeben. Wie man in fast allen diesbezüglichen Schadensereignissen der letzten Zeit erkennen kann, ist, dass die DB einen ursächlichen Zusammenhang mit den Tunnelbauarbeiten meist abstreitet und den Geschädigten nur der Klageweg übrigbleibt.  

TIEFBAHNHOF-RISIKEN

Es bestehen erhebliche Risiken durch die gegenüber der EBO sechsfach überhöhte Gleisneigung und der damit verbundenen Gefahr des Wegrollens von Zügen, was mit Sicherheit zu massiven Einschränkungen beim geplanten Betriebskonzept führen wird. So ist es z.B. fraglich, ob die geplanten Doppelbelegungen letztlich überhaupt zugelassen werden. Ohne diese ist aber die versprochene Verkehrsleistung von 49 Zügen in der Spitzenstunde im Tiefbahnhof mit seinen nur 8 Gleisen à priori nicht zu realisieren.

Auch im Tiefbahnhof sind der Brandschutz und die Entrauchung nicht bzw. unzureichend gelöst. Bei der Evakuierung gibt es wegen der Tieflage keine ausreichenden Fluchtmöglichkeiten für mobilitätseingeschränkte Personen.

Eine von der Deutschen Bahn durchgeführte Entfluchtungssimulation wird von der DB als geheim eingestuft und der Öffentlichkeit vorenthalten.


Zur weiteren Lektüre empfehlen wir unseren Flyer Stuttgart 21: "sicherheit" wird klein geschrieben. Dieser illustrierte Flyer stammt zwar bereits aus dem Jahre 2013, ist aber bis auf die damals noch geplanten 'Trockenen Löschwasserleitungen' immer noch weitgehend aktuell.