Pressemitteilung: Stuttgart 21 muss dringend angehalten und überdacht werden!

Pressemitteilung der Ingenieure22 vom 12.10.2020

Stuttgart 21 muss dringend angehalten und überdacht werden!

Die Bahn hat in der gerichtlichen Auseinandersetzung um den S21-Planfeststellungsbeschluss 1.3a durch die jüngste Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (→Urteil BVerwG 3 C 3.19 vom 18.06.2020) obsiegt. Dadurch abgesichert, kann sie also mit der Umsetzung dieser Planung fortfahren. Aber - nahezu gleichzeitig mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - platzte Steffen Bilger, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, mit seiner Aussage ins Geschehen, für die Gäubahn zwischen Böblingen und Stuttgart-Flughafen einen eigenen Tunnel zu bauen. Dies beträfe nicht nur den abgetrennten Planfeststellungsabschnitt 1.3b, sondern unmittelbar auch die jetzt vor Gericht durchgefochtene Planung von Abschnitt 1.3a.

Denn die Gäubahnzüge sollen dann nicht mehr ihren abenteuerlichen Weg von der Rohrer Kurve auf den S-Bahn-Gleisen bis zum Flughafen und dort über die neue, noch zu bauende eingleisige Station ‚Drittes Gleis' direkt neben der S-Bahn-Station Flughafen/Messe nehmen, sondern stattdessen in einer weiten Kurve von Osten her in den tief unter der Messe-Plaza liegenden Flughafen-Fernbahnhof einfahren. Dazu bedürfte es aber einer aufwändigen Umplanung der östlichen Einfahrt in diesen Fernbahnhof, weil dort eine technisch höchst anspruchsvolle Zusammenführung mit den Gleisen von und zur Neubaustrecke in Richtung Wendlingen – Ulm anstünde.

Zwischenzeitlich hat Staatssekretär Bilger seine vollmundige Ankündigung wieder herabgestuft, denn eine Realisierung ‚seines' Gäubahntunnels stehe unter dem Vorbehalt der Ergebnisse einer „volkswirtschaftlichen Bewertung“. Bei der Deutschen Bahn hängt diese Tunnelidee noch niedriger: laut Bahnvorstand Pofalla handele es sich bisher nur um eine „planerische Fiktion“. Das Vorhaben S21 ist damit um weitere politische Widersprüche und konzeptionelle Schlangenlinien reicher geworden.

Eben noch hat das Gericht mit Mühe die Abschnittstrennung mit der Gäubahnführung begründet. Nun wird dies durch den Bilgerschen Vorstoß konterkariert, weil durch den neuen Tunnel die bisherige Abgrenzung der Unterabschnitte 1.3a und 1.3b überhaupt nicht mehr passt. Auch das kurz vor der Erörterung stehende Planfeststellungsverfahren für 1.3b wird dadurch regelrecht torpediert, muss doch diese anscheinend ernst gemeinte Planung zwingend in die Variantenabwägung einbezogen werden.

Wolfgang Kuebart von Ingenieure22: „Wir haben immer betont, dass die Aufteilung des Planfeststellungsabschnitts 1.3 in 1.3a und 1.3b unvernünftig und unlogisch ist“. Jetzt könnte die Aufteilung für die Bahn zum Bumerang werden, denn das BVerwG urteilt, dass die Aufteilung die Planungssicherheit der Vorhabenträgerin untergraben könnte. Laut BVerwG ist niemand „gehindert, im Rahmen der Planfeststellung für den Abschnitt 1.3b Einwände gegen die Führung der Gäubahn zu erheben“.

Wie sich seinerzeit der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim und jetzt auch die Revisionsrichter in Leipzig mit dem bemängelten Brandschutz auseinandersetzten, mutet allerdings etwas eigenartig an, insbesondere wenn sich das BVerwG (lediglich) mit der Ventilatoren-Kapazität im Flughafen-Fernbahnhof auseinandersetzt. Dass der dort geplante Brandschutz und das Betriebskonzept mit den Planungen unten im S21-Tiefbahnhof und in den S21-Tunneln nicht zusammenpassen, ist den Richtern entgangen. Auch die eisenbahnbetriebliche Seite winkten beide Instanzen durch, gerade so, als ob dort der Wille der politisch Verantwortlichen absolut sei. So geben die Richter – sicherlich ohne dies zu beabsichtigen – der bei S21 in letzter Zeit eingerissenen „Planung in Echtzeit“, auf gut Deutsch „Weiterwursteln“ Vorschub.

Die aktuelle Situation ist gekennzeichnet, u. a. durch Widersprüche und Schlangenlinien in der Politik zu S21, die deutlichen Rügen des Bundesrechnungshofs und ein ins Absurde abgleitendes Planfeststellungsverfahren zu Plänen, die gar nicht umgesetzt werden sollen. Klaus Wößner von Ingenieure22: „In dieser verfahrenen Situation darf es nicht einfach weitergehen wie bisher“. Um gerne benutzte Begriffe der Verwaltungsrichter zu benutzen: es ist jetzt „vernünftigerweise geboten“, und zwar dringend, bei S21 mit einem Planungs- und Baustopp endlich das längst fällige Überdenken des Vorhabens S21 zu ermöglichen.


V.i.S.d.P.: Ingenieure22, c/o: Klaus Wößner