Lenkungskreis-Sondersitzung der Stuttgart 21-Projektpartner zu den Anhydritrisken am 1.2.2017
Eine Presse- und Medienschau sowie ein Kommentar der Ingenieure22
Einige Zeitungskommentare in den Online-Ausgaben der Zeitungen:
- Südwestpresse (SWP): Der S-21-Lenkungskreis verspielt Vertrauen (Leitartikel)
- Allgemeine Bauzeitung (ABZ): Stuttgart 21: Weiterhin Skepsis wegen quellfähigem Gestein Anhydrit
- StZ: Sondersitzung des Lenkungskreises: S-21-Partner wollen Risiken klären
- StZ: S-21-Sondersitzung mit Deutscher Bahn: Stadt fordert Antworten zu Risiken von Tunnelbau
- StZ: Weiterhin Skepsis bei Tunnelbau durch Gestein Anhydrit
- StZ: Expertenstreit prägt S-21-Lenkungskreis
- StN: Stuttgart 21: Experten streiten über Tunnelrisiken
- StZ: Stuttgart-21-Lenkungskreis: So klug als wie zuvor
SWR-Beiträge dazu:
- Anhydrit-Debatte im S21-Lenkungskreis: Zwei Gutachten, zwei Meinungen
- Anhydrit-Debatte im S21-Lenkungskreis: Bahn kann Partner nicht restlos überzeugen
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Manfred Leger, Geschäftsführer der PSU, bei der anschließenden Pressekonferenz, die in Ausschnitten in der Live-Landesschau Baden-Württemberg aktuell am 1.2.2017 ab 19:30 gezeigt wurde, sinngemäß erklärte, dass die DB selbstverständlich für Reparaturen auch während der Betriebsdauer aufkomme. Diese Passage war im entsprechenden Video der SWR-Mediathek nicht mehr enthalten. Verkehrsminister Winfried Hermann betonte: "Es ist naiv anzunehmen, dass nun alle Bedenken ausgeräumt sind. Aber wir haben die Zusicherung der Bahn, dass sie die Verantwortung übernehmen und mögliche Risiken tragen und minimieren...".
Beiträge auf der Mediathek-Seite der DB-Projekt Stuttgart-Ulm (PSU):
Dort befinden sich derzeit noch die Folienvorträge der DB, die während der Sitzung gehalten worden:
Der Vortrag des ebenfalls der Sitzung beiwohnenden Prof. Dr. G. Anagnostou von der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich wird auf der DB-Seite leider nicht angeboten. Warum eigentlich? Hat er etwa Kritik an DB und Prof. Wittke geäußert? Wir werden uns bemühen, die Unterlagen auf anderem Weg zu bekommen.
Die Ingenieure22 meinen dazu:
Es ist in höchstem Maße riskant, dass sich die DB Projektbau PSU ausschließlich auf die bekannten Aussagen des Prof. Walter Wittke (Fa. WBI – Wittke, Beratende Ingenieure) verlässt. WBI ist weder ein unabhängiges Gutachtrbüro noch ist Prof. Wittke Geologe, sondern Bauingenieur. WBI ist Auftragnehmer der DB AG und steht damit in einem Verhältnis wirtschaftlicher Abhängigkeit. Unseres Erachtens ist die Abschätzung einer Wahrscheinlichkeit von gerade einmal 0,5% für das Auftreten von Problemen während der Bauzeit und noch weniger während der Betriebszeit unseriös: Aufgrund aller verfügbarer Methoden sind in dieser Sache grunsätzlich keine Aussagen mit einer Sicherheit in der Größenordnung von 0,5% möglich. Selbst das vom DB-Aufsichtsrat beauftragte sog. KPMG-Gutachten schließt wesentlich höhere Wahrscheinlichkeiten von bis zu 13% schon während der Bauzeit nicht aus und beanstandet - genau wie die Ingeneiure22 -, dass sich die DB in einer so wichtigen Frage nur auf einen einzigen Sachverständigen verlässt. Es ist bekannt, dass die Quellungen unter Umständen erst nach 10 Jahren bemerkbar beginnen und bis zu 100 Jahre, allerdings selten länger, andauern können.
Im Gutachten von KPMG finden sich dazu u.a. sehr deutliche Aussagen:
Für Tunnel im Anhydrit gibt es keine bautechnische Lösung, welche eine risiko- bzw. unterhaltsfreie Nutzungsdauer über Jahrzehnte, erst recht nicht bis zur üblicherweise geforderten Nutzungsdauer von 100 Jahren, zuverlässig sicherstellen kann. [..]
Insofern muss man sich bewusst sein, dass bei jedem Tunnel im Anhydrit inhärent ein im Ingenieurbau unüblich großes Risiko für die Betriebstauglichkeit besteht.
Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Problemen in einer der immerhin 8 Tunnelröhren während der Bauzeit, während der Gewährleistungszeit und während der beabsichtigten Betriebsdauer von 100 Jahren hängt außerdem stark davon ab, wie oft der als besonders kritisch geltende sog. Anhydritspiegel durchbrochen wurde und wie lang diese Zone ist. Es ist auch in Wirklichkeit keineswegs so, dass dieser geradlinig, also wie zwischen zwei unterschiedlichen Platten verläuft. Stattdessen verläuft die Grenze in einem stetigen auf und ab, wird also zwischen Beginn und Ende mehrfach durchbrochen und das in jeder Tunnelröhre separat. Die Wahrscheinlichkeit, dass in irgendeiner Tunnelröhre bei irgendeinem Durchbruch innerhalb von 100 Jahren ein solches Schadenereignis auftritt, steigt somit stark an und ist damit sehr wahrscheinlich.
Solange uns die für Ermittlung der 0,5% herangezogenen Parameter nicht bekannt sind und dieses Ergebnis nicht nachgewiesen ist, müssen wir auch die Einschätzung anderer Wissenschaftler und Geologen beachten:
- Georisiken beim Tunnelbau für Stuttgart 21 – Schlichtungsvortrag von Dr. Jakob Sierig (Geologe), Geothermiekontor GmbH, Tübingen
- Risikoanalyse der mit Bau und Betrieb der Zufahrtstunnels verbundenen Risiken für S21 – Kurzgutachten von Hans Albrecht Schmid (Prof. Dr. Dipl.-Ing.) basierend auf dem Schlichtungsvortrag und in Zusammenarbeit mit Dr. Jakob Sierig
die auf ganz andere Wahrscheinlichkeiten kommen.
Resumée
Die Risiken durch Anhydrit sind keinesfalls neu. Sie wurden bereits bei der sogenannten Faktenschlichtung ausführlich dargestellt. Bemerkenswert ist vielmehr das Verhalten von Stadt und Land, die der DB AG dem Anschein nach noch immer nahezu blindes Vertrauen schenken.