Unser Kommentar zu einem Bericht eines Besuchs von Schweizer Journalisten auf der S21-Baustelle

Bericht eines Besuchs auf der S21-Baustelle von Schweizer Journalisten am 4.3.2020

Am 3.4.2020 ist bei uns Ingenieure22 ein Artikel aus dem Blog fokus-oev-schweiz in Umlauf gekommen, der dazu geeignet ist, uns beim Lesen die Fingernägel umzubiegen:

Stuttgart-Ulm – mehr als ein Bahnprojekt vom 23.3.2020, Autor: Ernst Rota

Wir haben uns erlaubt, die zweifelhaften Aussagen des Berichts zu kopieren, um die Verdrehungen zu den eigentlichen Tatsachen von Stuttgart 21 zu zeigen. Eingefügt in die Liste der fragwürdigen Aussagen sind unsere Kommentare und Richtigstellungen.

Es hat den Anschein, dass Herr Rota sehr voreingenommen für das Projekt Stuttgart 21 ist und daher der Bericht alles andere als „kompetent – unabhängig – hochwertig" ist, wie es im Untertitel der Homepage fokuus-oev-schweiz lautet.

Viel schlimmer ist allerdings, dass der Bericht ein Spiegelbild der Präsentation des ehemaligen Eisenbahners Herrn Joachim Pabsch (ein sogenannter Tour-Guide des Turmforums) am 4.3.2020 ist, der diese Geschichten so allen Besuchern mit großer Reichweite auftischt. Insofern dürfen wir Herrn Rota dankbar sein, dass er das mit diesem Bericht einmal aufdeckt. Hier ein →Bericht über Joachim Pabsch im Schwarzwälder Bote.

Wir haben Verständnis dafür, dass Herr Pabsch als Stuttgart 21-Protagonist zu den besonders kritischen Tatsachen wie dem mangelhaften Brandschutz in den Tunnel und dem Tiefbahnhof, zum regelwidrigen Längsgefälle der Bahnhofgleise von über 15‰ und zu der im realen Betrieb nicht ausreichenden verkehrlichen Leistung schweigt, aber diese Punkte sollten trotzdem nicht unerwähnt bleiben. Und wenn Herr Rota in seinem Blogbeitrag schreibt, dass die Grundlage dieses Berichts u.a. das Aktenstudium sei, dann hätte er das wissen müssen und auch dass der Präsident des Eisenbahnbundesamts in einer Verkehrsausschuss-Sitzung des Deutschen Bundestags am 15.3.2016 gesagt hat, dass der Stuttgart 21-Hauptbahnhof eigentlich mehr ein Haltepunkt als ein Bahnhof sei, weil wegen des extremen Gleisgefälles typische Bahnhofsleistungen nicht erbracht werden können.

Dass sich die Schweizer Bahnjournalisten solch einen Unsinn andrehen lassen, ohne ihn wenigstens ordentlich zu hinterfragen, enttäuscht zusätzlich.

Sehen wir uns einige Aussagen des Besuchsberichts (kursiv  und eingerückt = Originaltext) an:

Dank der nördlichen Güterzugsanbindung GZA bei Wendlingen können die Züge von und zur NBS bis 2025 über das bestehende Streckennetz in den Kopfbahnhof von Stuttgart und über die südlichen Kurvenverbindungen nach Tübingen geführt werden.

Leider nur im Prinzip richtig. Eine zweispurige Anbindung ins Neckartal würde die jahrelangen Verzögerungen des Projekts Stuttgart 21 gegenüber der Neubaustrecke kompensieren helfen, denn so muss der Kopfbahnhof noch für ein weiteres Jahrzehnt den gesamten Verkehr abwickeln. Diese Kurve SOLL nicht leistungsfähig sein, denn dann würde sich Stuttgart 21 ja als überflüssig herausstellen.

  1. GZA nur eingleisig (darauf wird auch noch weiter unten verwiesen). Dadurch ist die Anzahl der Züge auf der NBS stark eingeschränkt. Bei Sperrung z.B. des Fildertunnels (PFA 1.2) wäre für die GZA als Umleitungsstrecke die Zweigleisigkeit dringend geboten.
  2. Die Kurve heißt zwar offiziell GZA, aber es werden dort nie Güterzüge fahren (kommt später auch noch).
  3. Die südlichen Kurvenverbindungen nach TÜ haben überhaupt nichts mit der GZA oder der NBS zu tun, damit ist die Abzweigung von der NBS-Zufahrt vom Flughafen über die Wendlinger Kurve gemeint.

Die langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen führen dazu, dass der Grossteil von Stuttgart 21 erst 2025 in Betrieb genommen werden kann – der für das Gäu und den Verkehr aus der Schweiz relevante PFA 1.3 b aufgrund einer Einschätzung bzw. Prognose des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg sogar erst 2027. Die DB enthielt sich bisher einer Stellungnahme.

Das ist die unglaublichste Lüge. Die Verzögerungen wurden durch extrem schlampige Planungen nach dem Prinzip ‚Augen zu und durch‘, unvollständige Planfeststellungsverfahren, Planänderungen, nachträglich als notwendig zugestandene Erweiterungen hervorgerufen, nicht durch irgendwelche Aktionen der GEGNER. Die DB wird schon wissen, warum sie das nicht kommentiert.
Apropos GEGNER: sie sind KRITIKER des Projekts, die sich an den Problematiken des Projekts abarbeiten. Mit dem Begriff GEGNER will man die Kritiker stigmatisieren.

Dadurch verliert die NBS bei aus Plochingen einfahrenden Güterzügen in beiden Richtungen bis zu drei Trassen. Dafür bietet die GZA die willkommene Möglichkeit für die Nutzung der NBS unmittelbar nach ihrer Inbetriebnahme 2022 – nämlich durch die vorübergehende Umleitung des Fernverkehrs in das Bestandsnetz drei Jahre vor der Fertigstellung von Stuttgart 21.

Zum Lachen, welche Güterzüge sollen auf diese Strecke einfahren, die steiler ist als die Geislinger Steige (35‰ statt 22,5‰) und außerdem am Scheitelpunkt 155 m höher ist als diese?

Die vom Eisenbahnbundesamt EBA bereits 2016 erteilte Freigabe war wegen Klagen während zweieinhalb Jahre blockiert, ehe der deutsche Bundesverwaltungsgerichtshof Ende 2018 den sogenannten Planfeststellungsbeschluss abschliessend bestätigte.

Blockiert? Das ist schlicht gelogen. Da der Sofortvollzug nicht aufgehoben wurde, konnte die Bahn sofort mit dem Bau beginnen. (Siehe Zusammenstellung der Schutzgemeinschaft Filder am Ende)

Auch der Genehmigungsprozess einer wegen den Baumassnahmen für die NBS notwendigen Umlegung einer kurzen Bundesstrasse bei Plieningen führte zu Verzögerungen – übrigens eine in der erwähnten Gemeinde mehrheitlich begrüsste Massnahme.

So süffisant diese Bemerkung eingefügt wird, erkennt man, auf welcher Seite der Autor steht. Dies ist unter keinen Umständen eine neutrale Beschreibung. Da darüber nie eine Befragung durchgeführt wurde, bleibt offen, ob die „mehrheitliche Begrüßung“ überhaupt wahr ist. So ist sie lediglich eine Behauptung des Herrn Pabsch.

Das für die Freigabe des bereits vor vier Jahren vom EBA erteilten Planfeststellungsbeschluss notwendige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird erst gegen Ende des laufenden Jahres erwartet. In den äusserst aufwendigen Planungsprozess sind auch die Argumente der Gegner mit eingeflossen.

Kein Wort davon, dass man 20 Jahre kein genehmigungsfähiges Konzept zusammen brachte und sich nun immer noch über die Ergebnisse des Bürgerdialogs hinweg setzt. Soviel dazu, dass die Argumente der GEGNER dort eingeflossen sind. (Siehe auch Zusammenstellung der SGF am Ende des Beitrags)

Gegenstand des PFA 1.3 b sind a) die Einführung der Gäubahn in den bestehenden S-Bahn-Flughafenbahnhof, b) dessen Erweiterung mit einem dritten Gleis, c) der kreuzungsfreie Anschluss der neuen Verbindung an die NBS Richtung Stuttgart und d) Anpassungen an der bestehenden S-Bahnstrecke. Auf der Fildern kommen auf relativ engem Raum drei Bahnlinien übereinander zu liegen – ein höchst komplexes Bauwerk.

Vergl. unten, kein Wort von der erst nach vielen Jahren und mehreren Versuchen der DB mit neu eingereichten Plänen vom Bundesverkehrsminister erteilten befristeten (mittlerweile unbefristeten) Ausnahmegenehmigung, der zu engen Durchführungen, der bei Bau und Genehmigung der S-Bahn-Strecke bisher erklärten Absicht, hier ausschließlich S-Bahnen fahren zu lassen. Das hat man den Journalisten natürlich nicht gesagt.

Neben den erwähnten beiden Massnahmen wird die bestehende doppelspurige S-Bahnlinie zwischen der «Rohrer Kurve» und dem bestehenden Flughafenbahnhof den Anforderungen des Fernverkehrs angepasst. Zudem erfolgen umfangreiche Schallschutzmassnahmen an den Geleisen selbst und entlang der ertüchtigten Strecke.

Vergl. oben, kein Wort von der Ausnahmegenehmigung, den zu engen Durchführungen, der bisher erklärten Absicht, hier nur S-Bahn fahren zu lassen. Was heißt ‚Anforderungen des Fernverkehrs‘? Immerhin müssen diese Fernzüge auf der nur 2-gleisigen Strecke langsam durch 3 unterwegs liegende S-Bahnstationen durchfahren und können schon wegen des anderen Zugraumprofils nur langsam fahren. Das hat man den Journalisten natürlich nicht gesagt.

Die mehrjährigen Verzögerungen bewirken, dass der PFA 1.3 b voraussichtlich erst 2027 in Betrieb genommen werden kann.

Welche mehrjährigen Verzögerungen? Der Leser assoziiert hier, weil ja nichts sonst gesagt wurde, die Auseinandersetzungen mit den GEGNERN.

Die umfangreichen Arbeiten für den neuen Tiefbahnhof verlaufen planmässig.

Planmäßig bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass man bereits 2017, 2019, 2021, … in Betrieb hätte gehen wollen und bisher jede Prognose eine Restbauzeit von nahezu konstant 7 Jahren auswies, von 2010 bis 2018.

Hervorzuheben ist neben der riesigen Baustelle für den neuen Tiefbahnhof auch die Verlegung der stark frequentierten U-Bahnhaltestelle Staatsgalerie in Richtung Bahnhof. Damit werden direkte und kurze Zugänge zur Fussgängerebene über den Fahrsteigen von Stuttgart 21 geschaffen.

Die direkten Wege wären auch bei der bisherigen Station vorhanden gewesen, das ist NICHT der Grund. Der Grund ist vielmehr, dass die Tunnelzuführungen wegen der Talquerlage des neuen S21-Tiefbahnhofs nicht unter der bisher tieferliegenden Haltestelle hätten hindurchgeführt werden können. Deswegen musste man die (U-)Stadtbahngleise samt Haltestelle anheben. Mit den Wegstrecken hat das nichts zu tun.

In der beginnenden Diskussion über diesen Artikel wird die Bahnsteigneigung von grob 17‰ angesprochen. Schon der Frager weist darauf hin, dass die S-Bahn-Haltestelle Hardbrücke in Zürich 13‰ habe, wobei Bahnsteigneigung und Gleisneigung munter gemischt werden. Herr Rota setzt dem Ganzen noch eins drauf:

Die Bahnsteige sind jedoch so gebaut, dass diese eine Neigung zur Mittelachse haben. Damit ist gewährleistet, dass wegrollende Objekte von der Fahrsteigkante weg in die Mitte des Bahnsteigs rollen.

Die bestehenden S-Bahn-Station Stuttgart-Universität und Stuttgart-Feuersee haben mehr Längsgefälle als der neue Fernbahnhof.

Von diesen Stationen sind in den letzten Jahrzehnten praktisch keine derartigen Vorfälle bekannt. Unter Wahrung der allgemeinen Sorgfaltspflicht ist das vermeintliche Risiko als gering zu beurteilen. Die Oberflächenstruktur der Bahnsteige ist so gestaltet, dass sie nicht einem „aalglatter Tanzboden“ entspricht, sondern hinreichend Rollwiderstand bietet.

Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht Unsinn: Erstens kann man bei einem geneigten Bahnsteig nicht für alle Richtungen eine Neigung zur Bahnsteigmitte erzeugen, es gibt dann immer Richtungen, in denen die Neigung von der Mitte weg noch stärker zum Gleis hin führt. Zweitens sind S-Bahn-Haltestellen eben nur Haltestellen und keine Bahnhöfe. Es bleibt ausgesprochen fragwürdig, ob der Betrieb des Bahnhofs als reiner Haltestellenbetrieb abgewickelt werden kann, spätestens bei einer Sperrung eines Tunnels wird Stuttgart 21 zum Sackbahnhof ohne Wendemöglichkeit. Und drittens, was man sich unter einem Bahnsteig mit rollhemmendem Belag vorstellen muss, das wird erst die Zukunft zeigen, wenn Rollkoffer und andere Hartgummi bereifte Gepäckstücke mit einem Höllenlärm die Bahnsteige entlang rappeln. Was die Gleisneigung selbst für Betriebseinschränkungen impliziert, das wird überhaupt nicht angesprochen und war wohl auch bei der Führung des Herrn Pabsch kein Thema. 

So werden Legenden geschrieben. 


Zum Filderabschnitt eine Zusammenstellung der Schutzgemeinschaft Filder (SGF) zur Geschichte des PFA1.3 Flughafenanbindung und Filderbahnhof

Die Stuttgart 21 Pläne wurden erstmals 1994 vorgestellt

Jahr

F I L D E R –A B S C H N I T T

Kosten [Mrd. €]

Inbetriebnahme Jahr

1999

 

2,4

2008

2002

Versuch ein Planfeststellungsverfahren Filder einzuleiten. Dies scheitert vielfach; EBA und BVM lehnen die Pläne ab: nicht genehmigungsfähig, insbesondere wegen Mischverkehr.

2,59

2013

2010

Acht Jahre später: Verkehrsminister Ramsauer spricht eine Ausnahmegenehmigung, befristet bis 2035, aus.

 

 

2011

Eckart Fricke (DB Konzernbevollmächtigter für B.-W.) sagt: die Bahn hätte den Schlenker über den Flughafen nicht gewollt, das wäre Vorgabe der Politik (MP Teufel) gewesen.

 

 

2012

Filderdialog mit dem klaren Ergebnis: Gäubahnführung über Panoramastrecke in den Stuttgarter Hbf muss erhalten bleiben. Bahn und Politik lehnen dies gegen jedes Versprechen ab. Zurück zur Antragstrasse. Prof. Heimerl: „Mit der Antrags­trasse versündigen wir uns an unseren Kindern und Enkeln. Bei mehreren Zwangspunkten kann das System kollabieren.“

4,33

Bahnchef Grube sagt: 4,5 Mrd sind die Sollbruchstelle; ab da wird es unwirtschaftlich.

2019

2014

Erörterungsverfahren zu 1.3. Wegen Mischverkehr kein PFB (Gutachter Steinborn, Dresden). Flughafenbahnhof Plus wird abgelehnt. Man fordert:

  • Überwurf an der Rohrer Kurve.

Das eigentliche Problem: Mischverkehr wird nicht gelöst.

  • Ein Drittes Gleis am Terminal (Gegenverkehr)

  • Aufteilung PFA 1.3 in zwei Abschnitte a und b

1.3b wird mindestens 2 Jahre länger dauern

6,8

Manfred Leger: Ich will S21 für unter 6 Mrd.€ bauen

2021

M.Leger: Der Termin 2021 ist unverrückbar wie eine Weltmeister­schaft.

2016

Planfeststellungsbeschluss zu 1.3a ohne weitere öffentliche Erörterung (SGF klagt dagegen), Sofortvollzug angeordnet, Klage dagegen ohne Erfolg.

 

Der Bundesrech­nungs­hof geht von ca. 10 Mrd. aus

2018

Mannheimer Prozess (Südumfahrung Plieningen?) SGF geht in Revision (unzulässige Aufteilung in 2 Teile a und b, problematischer Brandschutz im Bahnhof unter der Messe u.v.m)

8,2

2025

2019

Eine jahrelange Unterbrechung der S-Bahn in Echterdingen wird angekündigt. Die Befristung der Ausnahmegenehmigung wird aufgehoben, (SGF klagt dagegen), u.a.m.. Gutachter Hohnecker sagt: “Stuttgart 21 wird auf Kosten der Filder-S-Bahn realisiert.“

 

 

 

5 Jahre Unterbrechung der Gäubahn angekündigt, soll in Vaihingen enden.

 

 

Die letztgenannten Kosten und das letztgenannte Zeitfenster berücksichtigen nicht den nach wie vor ungeklärten Filderabschnitt PFA1.3b!

Resumée: Die Gäubahnführung über die Panoramastrecke würde fast alle Probleme auf den Fildern lösen.