Ist der Fernverkehr auf der Gäubahn dem Ende nahe?
13.10.2019
Allmählich scheint es bei Stadt und Region zu dämmern, dass die Gäubahn (Stuttgart - Singen bzw. Freudenstadt) geradeswegs in die Problemzone fahren wird, wenn die heutige S21-Planung nicht geändert und ergänzt wird. Diese will die Gäubahn – aus heutiger Sicht vielleicht 2024 – im Bereich Nordbahnhof kappen, um die S-Bahn von und nach Feuerbach leichter an die neue Station Mittnachtstraße anschließen zu können, obwohl dafür auch andere Lösungen möglich wären. Zu diesem Zeitpunkt wird die vorgesehene Führung der Gäubahnzüge über den Flughafen noch längst nicht umgesetzt sein, und es ist überhaupt nicht abzusehen, wann dies der Fall sein könnte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Stadt und Region die dauerhafte Kappung unterstützen - dies um aus Eigeninteresse vollendete Tatsachen zu schaffen, denn schließlich will man die freiwerdenden Flächen lieber heute als morgen bebauen.
Die Gäubahnzüge einfach in Stuttgart-Vaihingen enden und wenden zu lassen, wäre höchst problematisch. Dies würde alle ihre Fahrgäste im Vaihinger Bahnhof über Treppen und durch Unterführungen zum Umsteigen in die S-Bahn oder Stadtbahn zwingen. Diese wären mit ihrem heutigen Betriebsprogramm, namentlich in der Hauptverkehrszeit, von der Kapazität her diesem Ansturm überhaupt nicht gewachsen.
Auch betriebstechnisch wären Ende und Wende der Gäubahnzüge in Vaihingen kaum vernünftig zu realisieren. Der dort geplante Regionalbahnhof sieht zwar an Gleis 4 einen neuen Ankunftsbahnsteig vor, aber für ihre Rückfahrt ins Gäu müssten die Züge von dort irgendwie aufs Gleis 1 oder auf das Richtungsgleis nach Böblingen überführt werden. Dazwischen auf den Gleisen 2 und 3 fährt die S-Bahn im 5-Minutentakt und baldmöglichst soll der Takt noch dichter werden, wenn weitere S-Bahnlinien über die Schwabstraße hinaus nach S-Vaihingen und weiter fahren. Man würde unabsehbar große Störungen des S-Bahnverkehrs im gesamten Netz riskieren, wenn man die Gäubahnzüge niveaugleich die S-Bahngleise kreuzen ließe.
Daher denkt man jetzt darüber nach, ob man die Gäubahnzüge vielleicht doch über die Panoramastrecke in den Talkessel fahren lassen und den Interims-Endbahnhof der Gäubahn in der Nähe des Nordbahnhofs unterbringen könnte. Die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und das Land Baden-Württemberg wollen Geld für eine Genehmigungsplanung bereitstellen, in der Alternativen für eine Gäubahn-Endstation im Bereich des Nordbahnhofs untersucht werden sollen. Als denkbare Alternativen gelten eine Endstation quasi unter der Heilbronner Straße bei der Stadtbahnhaltestelle Pragfriedhof oder eine Endstation im Bereich des heutigen Gleisbogens nach Feuerbach nahe der Löwentorbrücke.
Der Standort Heilbronner Straße mit lediglich Anschluss zur Stadtbahn im Mittelstreifen der vielbefahrenen Bundestraße 27 erscheint ziemlich ungeeignet. Aber auch der Standort nahe Löwentorbrücke überzeugt nicht, weil die Umsteigewege zu S-Bahn und Stadtbahn dort noch erheblich länger sind als in Vaihingen. Hand aufs Herz, so stellt man sich den Empfangsbahnhof für eine internationale Verbindung aus der Schweiz und deren Verknüpfungspunkt mit dem übrigen Bahnnetz wirklich nicht vor.
Und so würde oder bliebe die Gäubahn das ungeliebte Kind der Deutschen Bahn. Völlig vergessen scheint, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bereits 1996 - also vor über 20 Jahren - im →Staatsvertrag von Lugano verpflichtet hat, parallel zum Ausbau der Strecke im Oberrheintal die Fahrt zwischen von Singen und Stuttgart deutlich zu beschleunigen. Von der teilweisen Begradigung der Strecke, dem zweigleisigen Ausbau möglichst auf ganzer Länge und dem Einsatz von Zügen mit Neigetechnik war die Rede. Passiert ist von Seiten des Bundes bisher so gut wie nichts -- siehe z.B. den Beitrag im →Südkurier „Wirbel um die Zukunft der Gäubahn“ vom 29.7.2019 - als ob es den Vertrag von Lugano gar nicht gäbe.
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) ließen bereits vor einiger Zeit verlauten, den Betrieb der IC-Verbindung Zürich - Stuttgart mit Schweizer IC-Zügen einstellen zu wollen. Bezüglich des Zeitpunkts war schon von 2020 die Rede, spätestens aber mit Inbetriebnahme von Stuttgart 21. Welche Züge im Anschluss daran von deutscher Seite auf dieser Strecke eingesetzt werden sollen, ist nebulös. Man muss zu Recht befürchten, dass der Bund die Strecke von der Fernverbindung Stuttgart – Zürich zu einer Regionalverbindung Stuttgart – Singen herabstufen, damit die Verantwortung auf das Land abschieben und Bundesmittel für den notwendigen Ausbau der Strecke einsparen will. Nach Zürich muss man dann eben in Singen in den Schweizer IC umsteigen. Die ersten Vorboten dieser Herabstufung sind vielleicht schon eingetroffen: auch im IC darf man zwischen Stuttgart und Singen seit kurzem mit Nahverkehrsausweisen fahren.
Der →Bahnreport (3/2019, Seiten 5-6) könnte Recht haben, wenn er einen Artikel unter die Überschrift setzt, „Der Gäubahn droht der Super-GAU“. →Online-Artikel zum Herunterladen