Mineralquellen und Grundwassermanagement

Uns erreichte folgendes Anschreiben:

Ich bin ein großer Liebhaber der Mineralquellen in Stuttgart und gehe öfter mit Freunden und Bekannten aus aller Welt die Quellen besuchen.

Ich hoffe Sie können mir mit meinem Anliegen weiterhelfen und habe folgende Fragen:

Unsere Antworten (in kursiv)

1. Wann wird das Abpumpen des Grundwassers beim Bahnbauprojekt Stuttgart 21 beendet?

Die Grundwasserhaltung kann erst beendet werden, wenn das gesamte Bauwerk fertig und auftriebssicher in der Baugrube steht. Die Grundwasserhaltung war seinerzeit auf eine Bautaktung von 7 Jahren und unter Einhaltung kleinflächiger Maßnahmen begrenzt. Unsere Beobachtung, welche Baugruben gleichzeitig im Betrieb sind, geben jedoch Grund zur Befürchtung, daß diese Sicherheitsmaßnahmen der kleinflächigen Grundwasserhaltung von Anfang an über Bord geworfen wurde, als die Genehmigung da war. Eine aussagekräftige Akteneinsicht wurde uns bisher von den auskunftspflichtigen Stellen nicht zu unserer Zufriedenheit gewährt, indem uns nur unbrauchbares Material vorgelegt wurde, das sich nicht zu einer flächendeckenden Auswertung und zur elektronischen Verarbeitung eignet. Das zur Verfügung gestellte Material war nicht ausreichend, uns anderweitig zu überzeugen. Wir haben aber derzeit nicht die Kapazität, dies auch noch gerichtlich anzugehen, dazu sind wir personell nicht stark genug aufgestellt. Vielleicht läßt sich das später mal aufarbeiten.

2. Hat das Abpumpen des Grundwassers im Bereich des Bahnhofs Auswirkungen auf die Mineralquellen im Bereich Bad Cannstatt, Leuze-Bad und/oder Mineralbad Berg?

Es ist offiziell zugegeben, daß die Absenkung des Grundwasserspiegels im Bereich der Baugrube Auswirkungen auf das Mineralwasser hat. Ich versuche, das anschaulich zu machen: Ein Teil des Mineralwassers strömt aus dem nördlichen Schwarzwald in den Schichten des Oberen Muschelkalks ins Cannstatter Becken. Aufgrund seiner Tiefe wird es von wasser-undurchlässigen Schichten unten gehalten und von Grundwassereinflüssen isoliert (Unterkeuper, Grundgipsschichten als Dichtschicht). Die Grundgipsschicht ist ab der Innenstadt Stuttgarts nicht mehr richtig dicht, da es im Stuttgarter Becken tektonische Brüche (Verwerfungen) gibt. Durch sogenannte Pumpversuche wurden Verbindungen nachgewiesen. Dies ist eigentlich nicht schlimm, denn der Druck in der Mineralwasserschicht ist höher als der des Grundwassers (der Hydrogeologe spricht hier von "Piezometerhöhen"). Also drückt das Mineralwasser tendenziell eher nach oben. Vor allem im Bereich Unterer Schloßgarten, wo sich die Schichtentrennung aufzulösen beginnt, dringt das Mineralwasser von unten ins Grundwasser ein und nicht umgekehrt. Die androgenen (vom Menschen verursachten) Verunreinigungen des Grundwassers bleiben daher aus dem Mineralwasser draußen.

Wenn man nun im Bereich Baugrube den Druck von oben nimmt, indem man den Grundwasserspiegel senkt, kann dort mehr Mineralwasser aufsteigen, was den Überdruck abstromseitig (Unterer Schloßgarten) reduziert. Ist die Reduktion so stark, daß sich die Druckverhältnisse umkehren, dringt nun plötzlich möglicherweise kontaminiertes Grundwasser ins Mineralwasser ein. Ab welchen Verhältnissen dies geschieht, kann man ohne genaueste Kenntnisse des Systems nicht vorhersagen. Wenn dies aber geschieht, kann die Reinheit des Mineralwassers ggf. gefährdet sein. Wir trauen uns keine Prognose darüber zu und wissen auch nicht, ob dies passiert ist, aber wir sind ebenso sicher, daß auch die Modelleure des Grundwassermodells nicht die erforderlichen Systemkenntnisse haben, um das genau zu entscheiden.

Ein Beispiel dazu aus der mündlichen Anhörung: Ich habe mich darauf bezogen, daß vor einigen Jahrzehnten der Abfüllbetrieb Cannstatter Mineralwasser geschlossen werden mußte, weil Untersuchungen Spuren von CKW im Mineralwasser nachgewiesen hatten. Ich habe in der Anhörung die Frage gestellt, ob es inzwischen verstanden wäre, wie diese Verunreinigungen dort hinein gekommen wären? Auf diese Frage gab es eine klare Antwort: Nein.

Die offizielle Lesart und Behördenmeinung nimmt unsere Bedenken am besten gar nicht zur Kenntnis, sondern wehrt diese durch die Aussagen der gleichen Gutachter ab, die auch für die Modellbildung verantwortlich zeichnen. Konkret äußerte sich dies in einem Wortgefecht mit einem der mathematischen Modellierern, das ich einmal im Umweltministerium hatte. Dort wurde von mir die Aussage der Modellierer thematisiert, daß ein erhöhter Aufstieg (Verlust) von Mineralwasser im Baubereich des Projektes nicht zu einem Schüttungsverlust der Quellen in gleicher Höhe führe, weil der Zustrom an Mineralwasser über die Modellgrenzen nach innen dies ausgleiche. Ich habe den Einwand erhoben, damit würden die Modellierer eine Grenze überschreiten, jenseits derer sie keine Kenntnisse der Realität mehr besitzen. Sie können nämlich nicht wissen, ob das Wasser, das sie für einen erhöhten Zustrom "brauchen", auch vorhanden ist, da sie außerhalb des Modellgebietes keinerlei Beobachtungen gemacht haben. Die Annahme funktioniert nur dann, wenn man von einem unerschöpflichen Reservoir an Mineralwasser jenseits der Modellgrenzen ausgeht. Der Einwand wurde nicht zur Kenntnis genommen.

Ich habe in der mündlichen Anhörungen unter anderem die Forderung aufgestellt, die Modellierer müßten zu jedem von ihnen aus dem Modell erzeugten Zahlenwert eine Fehlergrenze angeben (vergleichbar zu einem Meßfehler), wie es in der Naturwissenschaft üblich sei. Darauf ging man nicht ein und behauptete, das Grundwassermodell hätte eine Modellgüte von 5%. Ich habe ihnen daraufhin entgegengehalten, daß aus ihrem Modellbericht bereits hervorginge, daß sich bei der Bestimmung der Wasserbilanz eines Modellteils bereits eine Abweichung von über 15% ergibt, je nachdem, ob man diese aus dem Modell über die Elementknoten oder Elementvolumenzellen (2 verschiedene Bestimmungsverfahren für das gleiche Modell) bestimmt. Bei einem wirklich konsistenten Modell sollte die Wasserbilanz vom Bestimmungsverfahren unabhängig sein.

Es kann also als Tatsache angenommen werden, daß Zusammenhänge und Auswirkungen der Grundwasserabsenkungen bestehen, solche sind von den Betreibern auch eingestanden, aber über deren Schwere besteht gegenüber unserer Seite dahingehend Dissenz, daß wir der Ansicht sind, die Modelliererseite hätte nicht das erforderliche Systemverständnis. Vielleicht hat bisher auch eine gehörige Portion Glück geholfen.

Eine absolute und unmittelbare Kontrolle der Sicherheit gibt es nicht. Es existiert lediglich die mittelbare indirekte Kontrolle über ein numerisches Grundwassermodell. Wie gut diese Kontrolle sein kann, steht und fällt direkt mit der Qualität des Modells. Nachdem es mir dann in der mündlichen Anhörung gelungen war nachzuweisen, daß die Modelleure in der Lage sind, durch eine minimale Variation der Randbedingungen an den äußeren Grenzen des Modellgebietes sehr starken Einfluß auf die Wasserbilanzen der einzelnen Schichten im Baubereich zu nehmen (mit einer fast unmerklichen Variation von 0,3% am Rande kann man über die Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit der gesamten Maßnahme entscheiden), habe ich danach gefragt, wie genau die Randwerte denn mit der Realität vergleichbar seien. Die (erwartete und von mir erzwungene) Antwort: Ein Vergleich mit der Realität ist nicht möglich, also kann niemand garantieren, daß das Modell im gesamten Gebiet auch richtige Werte liefert. Das Stichwort heißt "Kalibrierung". Wir haben seinerzeit massiv bestritten, daß eine Kalibrierung und eine Validierung des Modells gelungen ist. Hierzu verlinke ich weiter unten zu Stellungnahmen, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.

Fazit: Man weiß, daß die Grundwasserabsenkung am Bahnhof Auswirkungen auf die Mineralquellen hat, man kann sie aber nicht genau nachvollziehen oder beschreiben, weil die erstellten Modelle "weniger gut" sind als behauptet.

3. Hat das Straßentunnelprojekt im Bereich Leuzebad, Schwanenplatz, Rosensteinpark Auswirkungen auf die Mineralquellen?

Die Auswirkungen des Rosensteintunnels auf die Mineralquellen würde ich persönlich als verhältnismäßig gering einschätzen. Grund hierfür ist, daß er sich abseits der maßgebenden Quellfassungen befindet und hier das Mineralwasser ohnehin bereits in "wilden" Austritten an die Oberfläche strebt. Wo das Wasser ohnehin bereits aufsteigt, gibt es keine versteckten Einflüsse mehr auf die Druckflächen. Genauere Untersuchungen hierzu sind mir aber nicht bekannt. Die Quellfassungen sind viel tiefer. Das heißt aber nicht, daß es gar keine Auswirkungen der Bauprojekte gibt, diese spielen sich eben nur in oberflächlichen Schichten ab, wo es für die gefaßten Quellen ohne Bedeutung ist. Wesentliche Gefahr wäre während der Bauarbeiten ein Bruch einer wasserführenden Schicht, was zum Zusammenbruch der Druckverhältnisse mit Auswirkungen auf das Austrittsverhalten des Mineralwassers führen würde. Nach Reparatur dieses Schadens würden sich aber voraussichtlich die ursprünglichen Verhältnisse/Gleichgewichte nach und nach wieder einstellen.

4. Warum laufen bestimmte Mineralquellen schwächer oder zur Zeit gar nicht (Leuzebad)?

Die Frage können wir nicht zuverlässig beantworten. Es kommt den Betreibern der Grundwasserabsenkung vermutlich gelegen, denn ein ausgebeuteter Mineralwasseraquifer ist gegen äußere Einflüsse selbstverständlich weniger stabil als ein nicht ausgebeuteter. Aber es kann sein, daß dies alles mit der Sanierung der Mineralbäder (vor allem Berg) zusammenhängt, wo man beim Versuch, eine Quellfassung zu sanieren, die ganze Fassung verloren hat und neu erbohren mußte. Ähnliches ist aber auch bei der Sanierung des Brunnenhofes im Kursaal Bad Cannstatt auch bereits vorgekommen und steht erkennbar nicht im Zusammenhang mit dem innerstädtischen Bauprojekt. Einen ursächlichen Zusammenhang, also daß man absichtlich die Quellen deckelt, um die Effekte der Grundwasserabsenkung kleinzuhalten, können wir nicht ableiten, ihn weder bestätigen noch ausschließen.

5. Gibt es laufende Qualitätskontrollen der Mineralbrunnen?

Das Mineralwasser in Stuttgart wird immer wieder vom Untersuchungslabor der Stadt Stuttgart geprüft. Die Zusammensetzung wird auf der Seite der SES veröffentlicht.


Ein Hinweis noch zur Modellierung: In Abweichung zur Vorstellung, die bei der Stadt Stuttgart herrschen (Mineralwasser strömt unter dem Stadtgebiet heran und reichert sich im Cannstatter Becken mit Mineralien aus der Tiefe an), sind wir der Meinung, daß die Quellen in Bad Cannstatt von zwei verschiedenen Zuströmen gespeist werden. Der Strom unter dem Stadtgebiet ist von geringer Mineralisierung und entspricht einem Wassertyp z.B. der Kellerbrunnenquelle oder der Mombach/Auquelle/Schiffmann-Brunnen. Der zweite Strom kommt aus dem Südosten und Osten und bringt den hohem Mineralisierungsgehalt mit. Wir vertreten die Auffassung, daß Eingriffe in das Grundwasser damit nicht nur zu Schüttungsminderungen (Quantität) führen, sondern daß hierdurch auch das dynamische Gleichgewicht der Zuströme verändert wird. Dies kann Einfluß auf die Zusammensetzung der Quellwässer an verschiedenen Standorten haben. Systematisch wurde hier nichts untersucht, da man von seiten der Betreiber nur von einem Zustrom ausgeht, der allerdings in Richtung Südosten ausgedehnt wurde. Veröffentlichungen des damaligen Leiters des Geologischen Landesamtes Prof. Wilhelm Schloz widerlegen unserer Meinung nach diese These (vgl. Prestel/Schloz et. al zu Bohrungen am Merkelschen Bad in Esslingen, genaues Zitat ist in einer der verlinkten Stellungnahmen enthalten).

Dies ist ein weiterer Grund, warum ich persönlich z.B. die Modelle für nicht aussagekräftig genug halte, denn bereits die Grundvorstellung über die Entstehung des Mineralwassers in Bad Cannstatt ist meiner Überzeugung in den Modellen nicht richtig abgebildet.

Ein weiterer Aufhängepunkt für diese Überlegung ist: Ich habe in der mündlichen Erörterung gefragt, ob die Modellierer anhand des Modells erklären könnten, warum während des Pumpversuches im Oberen Schloßgarten plötzlich die elektrische Leitfähigkeit des Mineralwassers an einer Meßstelle in Baugrubennähe signifikant zunimmt. Die Frage konnte man mir nicht beantworten. Die Antwort vermute ich aber selbst zu kennen: Durch den Pumpversuch hat man in das Gleichgewicht der beiden Mineralwasser-Zuströme eingegriffen, wodurch höher mineralisiertes Wasser in den Bereich der Baugrube gezogen wurde. Höherer Mineralgehalt bedeutet höhere Ionendichte bedeutet höhere Leitfähigkeit. So einfach.

Ich hoffe, Ihre Fragen möglichst so beantwortet zu haben, daß dies noch verständlich war. Ich habe nachfolgend zur Internetseite der Ingenieure22 verlinkt, auf der Sie weitergehende Informationen zu unseren gemeinsamen Aktivitäten zusammen mit dem BUND finden: →GWM-Studie. Hier finden Sie Stellungnahmen zu Publikationen der Betreiber. Ich bedanke mich für Ihr Interesse und daß Sie sich mit Ihren Fragen an uns gewandt haben.

Beste Grüße im Namen der Ingenieure22