Neue Stuttgart 21-Pläne der DB am Flughafen werden von der Politik abgelehnt
und „die Zielsetzung von Stuttgart 21 mit all ihren Vorteilen ist zu keinem Zeitpunkt seriös in Zweifel gezogen worden", meint Nicole Razavi, die CDU-Verkehrsexpertin im Stuttgarter Landtag. Aber dazu später mehr...
26.01.2018
Neue Pläne am Flughafen:
Update: Diese Pläne sind nach einem klärenden Gespräch zwischen den Projektpartnern bereits wieder vom Tisch. Es bleibt bei der Variante „Drittes Gleis". Dazu auch der Kommentar „Chance vertan" von Chr. Milankovic in der Stuttgarter Zeitung.
OpenRailwayMap vom Flughafen.
(Für eine größere Darstellung auf das Bild klicken).
Nun hat die DB-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) -einer Nebelkerze gleich- neue Vorstellungen für den Flughafenbahnhof ins Spiel gebracht, die allerdings - zumindest offiziell - noch nicht mit dem DB-Infrastrukturvorstand und den Projektpartnern abgestimmt wurden.
Einmal soll der Flughafenbahnhof oberirdisch und damit viel billiger und sicherer jenseits der A8 als Durchgangsbahnhof für alle Züge - auch der Gäubahnzüge - direkt an der Zuführung zur Neubaustrecke (gestrichelte rote Linie auf der Karte) nordwestllich des die Autobahn A8 überspannenden BOSCH-Parkhauses (Kartenmitte) errichtet werden (gepunktete dunkle Linien) und außerdem sollen keine ICE mehr am Flughafen halten. Die Gäubahn soll ohne Halt durch die bestehende S-Bahn-Station und in einer Tunnel-Schleife unter der A8, der Neubaustrecke und L1192 weiter bis zum neuen Flughafenbahnhof geführt werden (gepunktete dunkle Linien). Die erst kürzlich beschlossene unterirdische, eingleisige, brandschutztechnisch problematische Gäubahnstation 'Drittes Gleis' würde dadurch entfallen.
Vorbemerkung: Um die Eröffnung der Neubaustrecke nicht zu verzögern, wurde der Bau des Stuttgarter Flughafenbahnhofs aus den Genehmigungsverfahren ausgegliedert und der Planfeststellungsabschnitt Flughafen in einen Abschnitt a (dessen Genehmigung am 14.7.2016 erfolgte) und einen Abschnitt b (dessen Planfeststellung noch aussteht) aufgeteilt. Der geänderte Flughafenbahnhof würde eine Neuplanung des Planfeststellungabschnitts PFA 1.3 (a und b) erforderlich machen.
Pikant dabei ist, dass diese Variante des Flughafenbahnhofs von den Projektkritikern, dem VCD und Umweltverbänden schon vor Jahren vorgeschlagen, von Politik und DB aber bisher als vollkommen inakzeptabel abgetan wurde, weil die Wege zu den Terminals zu weit seien. In Wirklichkeit sind sie nur unwesentlich weiter als bei dem bisher geplanten, brandschutztechnisch kaum zu beherrschenden Tiefbahnhof 26 Meter unter der Messeplaza. Der Weg zu und von den Terminals könnte z.B. ohne weiteres durch Laufbänder realisiert werden, so wie man sie z.B. vom Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt kennt.
Durch bundesweite Berichte in Presse und Fernsehen, z.B. Stuttgarter Zeitung: Neue Gedankenspiele für S21 am Flughafen vom 8.11.2017 wurde die Politik aufgeschreckt. Bisher hatte man so getan, als habe man alles im Griff, obwohl noch keine Genehmigungen für die bisher vereinbarte Variante am Flughafen vorliegt, während Kosten und Fertigstellungstermine für ganz Stuttgart 21 im Jahresrhythmus steigen.
Bereits im November 2017 greift der Journalist Christian Milankovic in der Stuttgarter Zeitung „Koalition will Klarheit bei S21" vom 10.11.2017 das Thema auf und zitiert die 'Verkehrsexpertin' der CDU-Landtagsfraktion, Frau Nicole Razavi, die auf den bestehenden Finanzierungsvertrag zwischen den Projektpartnern hinweist. Dieser Bericht erschien fast gleichlautend in mehreren Zeitungen des Süddeutschen Raums und teilweise auch überregional.
Der Artikel hat eine Projektkritikerin aus Ludwigsburg veranlasst, Frau Razavi am 11.11.2017 anzuschreiben.
Zentraler Punkt ihres Anliegens war, darauf hinzuweisen, dass schon seit Jahren erhebliche Kritik an dem Projekt geübt wird, die sich jetzt wieder bestätigt sehen darf, dass das Projekt auf keinem guten Weg ist und auch die CDU sich endlich mit der Frage eines Umstiegs auf ein besseres Konzept auseinandersetzen soll.
Sie zitiert Frau Razavi aus der Ludwigsburger Kreiszeitung: „Es gebe einen Finanzierungsvertrag der Projektpartner von 2009…: dieser sehe eine zügige und optimale Anbindung des Flughafens an Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm sowie einen Anschluss der Gäubahn an den Flughafen vor. … „Pacta sunt servanda (dt.: Verträge sind einzuhalten) – das gilt auch für die Deutsche Bahn“…“.
Die Kritikerin entgegnet: „Es wäre zweifelsfrei gescheiter gewesen, man hätte das Geld, das Stuttgart-21 verschlingt, in die Infrastruktur gesteckt sowie in den Güterverkehr. Dann würden wir zum einen am Bahnhof nicht ständig hören bzw. lesen: Verspätung bzw. Ausfall des Zuges wegen Weichenstörung, Signalstörung, Streckenstörung usw. und zum anderen wären bei der Stärkung des Güterverkehrs die Straßen und damit auch die Umwelt entlastet.“ „Die Zeche zahlen die Bürger. Für mich hat die Politik total versagt.“ entgegnet sie Frau Razavi. Vollständiger Brief an Frau Razavi.
Frau Razavi antwortet am 12.12.2017 u.A.: „Im Zuge dieses Großprojekts wird die zentrale Schieneninfrastruktur einer ganzen Region (Stuttgart-Ulm) modernisiert. Der Großraum Stuttgart und weite Teile Baden-Württembergs werden dadurch über neue schienenverkehrliche Möglichkeiten verfügen. Diese Zielsetzung mit all ihren Vorteilen ist zu keinem Zeitpunkt seriös in Zweifel gezogen worden.“ Vollständige Antwort von Frau Razavi an die Kritikerin.
Dieser Passus veranlasste Herrn Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack zu einem Kommentar direkt an Frau Razavi:
4.1.2018
Sehr geehrte Frau Razavi,
ich erhielt Ihre Antwort an Frau ... und finde darin die Behauptung, dass das Projekt zu keinem Zeitpunkt seriös in Zweifel gezogen worden sei. In zahlreichen Veröffentlichungen in der Fachpresse haben wirkliche Experten, wissenschaftlich ausgebildete und berufserfahrene Eisenbahnfachleute, dargestellt, dass die geplante Infrastruktur mit der Halbierung der Bahnsteiggleise und der Reduktion der Zufahrten in den Tiefbahnhof Stuttgart erhebliche Reduktionen der Leistungsfähigkeit erfahren wird. Warum leugnen Sie dies, wo doch die Publikationen öffentlich zugänglich sind?
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren wichtigen Sachverhalt hinweisen:
Für den Tiefbahnhof hat die DB AG bislang keine Betriebsgenehmigung, sie ist noch nicht einmal beantragt (wie es mir Herr Leger am 20.11.2017 bestätigte). Sie ist in dem von der DB AG avisierten Umfang aus meiner Sicht ausgeschlossen, da sie wesentlichen Bestimmungen, u.a. dem §2 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung widersprechen würde. Sie müssen damit rechnen, dass überhaupt nur ein Teil der vorgesehenen Züge im Tiefbahnhof halten dürfen, eine Doppelbelegung von Bahnsteiggleisen erscheint wegen des nicht gesetzeskonformen Gefälles ausgeschlossen. Ich füge Ihnen einen Aufsatz dazu aus der Eisenbahn-Revue International 4/2017 bei (K.-D. Bodack, „Streit um den Kopfbahnhof Stuttgart", Eisenbahn-Revue International, 4/2007, Seiten 206-207) und sende Ihnen gern auch in Papierform weitere Artikel renommierter Bahnexperten zu diesem Thema.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Dieter Bodack
u.a. 27 Jahre in Stabs- Führungspositionen der DB und DB AG
Hochschuldiplom/Triebfahzeugführerausbildung in Stuttgart
und Berater namhafter Fahrzeughersteller und Bahnunternehmen
Unser Kommentar dazu:
Die Politik - insbesondere die CDU, aber auch weite Teile der SPD - akzeptiert nur Aussagen der Befürworter des Projekts. Wissenschaftliche Analysen der Kritiker werden, teilweise mit Polemik, als unseriös abgetan. Gutachten werden zurückgehalten – so werden Kostengutachten des Bundesrechnungshofes, Brandschutzgutachten und Gutachten zu Projektrisiken geheim gehalten.
Verkehrswissenschaftler wie Prof. em. Heiner Monheim (Universität Trier), Prof. Dr. Wolfgang Hesse (Ludwig-Maximilians-Universität München), der Journalist und Verkehrsexperte Dr. Winfried Wolf, das namhafte Beratungsbüro Vieregg&Rößler, der Analyst Dr. Christoph Engelhardt, Bahn- und Brandschutzexperten, Ingenieure und Geologen der Ingenieure22 sind sich in ihrer Kritik einig: Stuttgart 21 wird ohne zeitliche und finanzielle Schranken durchgezogen, ohne dass es einen verkehrlichen Nutzen, geschweige denn überhaupt ein einigermaßen akzeptables Nutzen-Kosten-Verhältnis für die öffentliche Hand aufweist, was im Übrigen nie ermittelt wurde. Stattdessen bringt es erhebliche betriebliche Risiken für Zugpersonal und Reisende mit sich. Das Projekt ist kein Verkehrs-, sondern ein Bau- und Immoblienprojekt mit gigantischem, ständig wachsendem Finanzierungsvolumen zum Wohle der (Bau-)Wirtschaft und zum Schaden der Bahnreisenden und Steuerzahler.
Davon kann man sich gerne überzeugen, wenn man neuere Veröffentlichungen zu dem völlig aus dem Ruder laufenden Fortschritt des Projekts studiert:
Die Kosten des Projekts Stuttgart 21 steigen unaufhörlich (offiziell derzeit über 8 Mrd. - realistisch sind eher 10-12 Mrd. oder sogar noch mehr), der jetzt vom DB-Vorstand kommunizierte Fertigstellungtermin 2025 erscheint ebenfalls unrealistisch, wenn man den Baufortschritt und die immer noch fehlenden Genehmigungen nüchtern betrachtet.
Dazu auch ganz aktuell ein Artikel im STERN „Kostenexplosion und Sicherheitsrisiko - Stuttgart 21 ist rational nicht mehr erklärbar" →Desktopversion | →Mobilversion